Werden Massenmedien zu Medienmassen? | MTP e.V.

Massenmedien sind seit der Erfindung des Buchdrucks im Jahre 1440 ein wichtiger und fester Bestandteil der menschlichen Kommunikation. Doch nun, in Zeiten des Web 2.0, beginnt ihr Status zu bröckeln. Können Internetuser über Onlineplattformen wie Twitter und Facebook die seit über fünf Jahrhunderten bestehende Vorherrschaft der Massenmedien zu Fall bringen?

Seit dem Druck der ersten Bibel durch Gutenberg haben sich die Massenmedien immer weiterentwickelt. Im 19. Jahrhundert kam die Massenproduktion von Zeitungen und Schallplatten hinzu. Die wichtigsten Entwicklungen in Deutschland waren 1923 die Einrichtung des ersten Rundfunksenders und 1929 die Einführung des Fernsehens. Doch die Freigabe des Internet für die allgemeine Nutzung 1993 verhieß für die etablierten Medien aus heutiger Sicht nichts Gutes: Nach wenigen Jahren der Weiterentwicklung und Benutzung des Internet durch die Allgemeinheit haben die Empfänger von Nachrichten die Möglichkeit, mit dem Sender der Nachricht in direkten Kontakt zu treten und mit diesem über Inhalte zu diskutieren. Diese Möglichkeit gab es früher, trotz zaghafter Versuche wie Leserbriefe in Zeitungen und Zeitschriften sowie Telefonanrufe in laufende Sendungen, nicht annähernd. Die Kluft zwischen Sender und Empfänger ist überwunden. Und es geht noch weiter: Jeder kann heutzutage im Internet Inhalte veröffentlichen und mit Anderen darüber diskutieren. Durch diese bahnbrechenden Neuerungen ist unsere Medienlandschaft mehr denn je im Umbruch.

Wir stellen uns die Frage: Inwieweit wirken sich diese Änderungen in der Medienlandschaft auf das Geschäft der Medienunternehmen aus?

Unser Interesse sollte zunächst der gegenwärtigen Nutzung der Medien gelten. In 2010 wurden täglich 22 Mio. Tageszeitungen, 1.9 Mio. Wochenzeitungen sowie 12 Mio. Fachzeitschriften pro Quartal in Deutschland abgesetzt. Setzt man diese Zahlen in Relation zur abgesetzten Menge im Jahr 2000, so ergibt sich folgendes Bild:

Das sind dramatische Einbrüche bei den Tageszeitungen und Fachzeitschriften, die Absatzzahlen sackten innerhalb von zehn Jahren um 23 Prozent bzw. 33 Prozent ab.

Gleichzeitig ist der Trend beim Zugang zum Internet klar erkennbar: Mittlerweile besitzen drei von vier Haushalten in Deutschland einen Internetanschluss.

Und immer mehr Menschen greifen zum mobilen Internet. Das Geschäft boomt so sehr, dass es nicht mehr genug IP Adressen für neue Endgeräte gibt. Folglich muss hier auf ein neues System umgestellt werden, um genug Kapazität für so viele neue Nutzer zur Verfügung stellen zu können. Die Anbieter digitalisierter Nachrichten sehen ihre Chance in diesem noch relativ neuen Markt und bieten extra auf mobile Endgeräte ausgerichtete Internetseiten an. Doch wie steht es um die Vermarktung? Einige wenige Versuche, aus dem Markt des mobilen Internets Kapital zu schlagen, sind bisher dokumentiert und sie fallen bescheiden aus. Selbst das Massenblatt „Bild“ erreichte mit seiner Bild-App im vierten Quartal 2010 nur 785 Abonnenten.

Diese Zahl ist ernüchternd und wirft die Frage auf, wie es mit dem Thema Paid Content weiter gehen wird. Der mittelfristige Erfolg von Paid Content wird ausschlaggebend sein für das Geschäftsmodell vieler Medienhäuser. Wie viel Geld lässt sich auf diese Art und Weise im Internet verdienen? Es ist unabdingbar, deutlich mehr Nutzer für dieses Format zu gewinnen. Trotz rasant wachsender Zahlen von Nutzern des Internet gelingt es zurzeit nicht, Ideen in ertragreiche Geschäftsmodelle umzuwandeln.

Gleichzeitig kommunizieren Massen von Internet-usern über Facebook und ähnliche Plattformen. Diese Unternehmen generieren ihre Einnahmen über klassische Bannerwerbung und bieten den Vorteil, dass sie durch personalisierte Werbung geringe Streuverluste aufweisen. Unternehmen und Privatpersonen können beispielsweise bei Facebook kinderleicht über die Einstellungen Reichweite, clicks per rate und Maximalbudget in wenigen Minuten eine eigene Werbeanzeige entwerfen und sie umgehend online schalten.

Per Twitter und Blog ist jeder Internetnutzer in der Lage, selbst Inhalte zu veröffentlichen, sie positiv oder negativ zu bewerten und zu kommentieren. Das eröffnet viele Spielräume: Mittlerweile sind Nachrichten zuerst bei Twitter und dann erst aus den Angeboten der Massenmedien zu erfahren. Die Nachricht, dass der ägyptische Präsident Husni Mubarak zurückgetreten ist, wurde tausendfach bei Twitter gepostet, bevor man den ersten Artikel hierzu auf tagesschau.de finden konnte. Schnell stellt sich die Frage nach dem Qualitätsjournalismus. Können wir uns in der heutigen Zeit diesen Qualitätsjournalismus finanziell und zeitlich überhaupt noch leisten? Oder geht an diesem Punkt Quantität vor Qualität? Peter Klöppel, Chefredakteur von RTL, beantwortete diese Fragen in der Horizont: „Ich bin optimistisch gestimmt, weil ich sehe, dass die Marken, die im Fernsehen und im Print oder wo auch immer eine feste Größe sind, auch online die deutlich höchsten Zugangszahlen haben. Es muss jedem klar sein, dass seriöse und gut gemachte Information nicht kostenlos sein kann.“

Dass das Fernsehen in Deutschland noch immer einen großen Stellenwert als Kommunikationskanal genießt, belegen die Werbeeinnahmen. 3,64 Milliarden Euro netto konnten die Sender 2009 verzeichnen. Dies verwundert nicht, hat TV doch die größte Reichweite: In 95% der Haushalte in Deutschland steht mindestens ein Fernsehapparat. Das macht die Werbefenster der TV-Sender attraktiv. Doch wie sieht es mit dem Konsumverhalten der Jugendlichen aus? Die meisten Jugendlichen lassen die „Glotze“ nebenher laufen, während sie im Internet surfen, mit Freunden telefonieren oder etwas essen. Das bedeutet, die Aufmerksamkeit ist nicht zu 100% auf das TV-Programm und schon gar nicht auf die Werbung gerichtet. Das „Zappen“ ist nicht nur integrativer Bestandteil des jugendlichen Wortschatzes, sondern auch des Konsumverhaltens. Bei lästigen Werbeblöcken ist die Fernbedienung schnell zur Hand und ein anderer Sender ausgewählt, bis das laufende Programm wieder aufgenommen wird. Eine der wenigen Ausnahmen, die nicht zu diesem Verhalten führen, sind Massenevents wie Weltmeisterschaften oder der Super Bowl in den USA. Immerhin 2,5 bis 2,8 Millionen Dollar ist den Unternehmen ein 30 Sekunden umfassender Werbeplatz in diesem Umfeld wert. Über 100 Millionen Zuschauer verfolgten das Spektakel, welches in 2010 Einnahmen in Höhe von 205 Millionen Dollar an TV-Werbeeinnahmen generierte, allein in den USA. In den Werbepausen wurden zahlreiche neue Spots von namhaften Unternehmen wie Nike und Coca Cola gelauncht, die die Zuschauer auch während der Werbepausen an die Bildschirme fesselten – im Gegensatz zum täglichen Werbeangebot. TV Werbung erreicht also viele Nutzer, diese sind jedoch sehr unterschiedlich aktiviert. Allgemein kann man sagen, dass die Aufmerksamkeit für TV-Werbung vor allem bei den jungen Nutzern nachlässt und somit insgesamt mittelfristig sinkt.

Das Fazit: Die Medienwelt ist im Umbruch. Wir sehen deutliche Auflagenrückgänge bei Zeitungen und Zeitschriften, gleichzeitig verwenden ihre Zielgruppen das Internet und seine Web 2.0-Dienste immer mehr und immer länger. Insbesondere die Zielgruppe der unter Dreißigjährigen legt einen neuen Medienkonsum an den Tag. Diese Argumente bekräftigen die Position derer, die behaupten, dass aktuelle Massenmedien ausgedient haben und die Gegenwart sowie die Zukunft dem Web 2.0 gehört. Gleichzeitig sehen wir, dass die Monetarisierungsversuche der Anbieter im Internet noch nicht in allen Segmenten vom Verbraucher angenommen werden. TV ist als Massenmedium mit der größten Reichweite unangefochten die Nummer eins.

Einerseits kann die Situation dazu führen, dass immer mehr klassische Massenmedien aus dem Markt ausscheiden müssen und dass langfristig die Web 2.0 Angebote vorne liegen. Qualitätsjournalismus wäre dann entweder gegen Bezahlung oder aber in vermarktungsstarken Formaten, die genügend Werbeanzeigen generieren können, abrufbar. Dies würde dazu führen, dass Redaktionen schrumpfen und aktuelle Informationen eher über Anbieter wie Twitter bezogen werden. Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein: Durch das nun entstehende Vakuum bei der Informationsqualität könnte das Bedürfnis nach professionell recherchierten, überprüften Informationen steigen. Wie sich die Entwicklung weiter abspielen wird, ist aus heutiger Sicht nicht eindeutig zu prognostizieren. Sicher ist, dass sich nur die Anbieter im Markt halten werden, die früh genug Trends und Potenziale erkennen und diese in ertragreiche Geschäftsmodelle umsetzen können. Wie diese bei den Nutzern ankommen und welche Erfolge die Unternehmen erzielen, möchten wir gerne hier mit Ihnen diskutieren. Wir sind gespannt auf Ihre Meinung!

Autor:

Dejan Latinović

Journalismus, massenmedien, Medien, Medienmassen
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