In welche Richtung wird sich das mobile Marketing entwickeln? An welchen Maßnahmen kommt in Zukunft kein Unternehmen mehr vorbei? Victoria Schlusche sprach mit Prof. Dr. Franziska Völckner über zukünftige Trends, den Weg der reinen Werbeidee und die Möglichkeiten, die sich für einzelne Firmen ergeben werden.
Victoria Schlusche: Heutzutage hat, so scheint es, jede zweite Werbung einen QR-Code aufgedruckt, unter dem man direkt online nachgucken kann, wenn man mehr wissen möchte. Gibt es mittlerweile Standards, an denen man im mobilen Marketing nicht mehr vorbeikommt?
Prof. Dr. Franziska Völckner: Als allgemeinen Standard würde ich keine spezifische Aktivität, sondern den Begriff vielmehr weiter gefasst sehen. Ganz grundsätzlich sollten Unternehmen, wenn sie über ihre Möglichkeiten des mobilen Marketing nachdenken, auf drei Eigenschaften achten. Die erste ist Usability. Dass beispielsweise eine Website auch für den mobilen Zugriff optimiert ist, für alle möglichen mobilen Endgeräte. Nichts ist schließlich schlimmer, als wenn ich auf eine Website zugreife und dann ewig scrollen muss, weil deren Inhalt nur für den PC-Bildschirm gemacht ist. Convenience aus Verbrauchersicht ist der zweite Punkt. Bestimmte Dinge möchten einfach beibehalten werden, unterschiedliche Bezahlmöglichkeiten zum Beispiel.
Victoria Schlusche: Also sind es nicht einzelne Standards, welche der Kunde wünscht, sondern vielmehr das mobile Gesamtpaket?
Prof. Dr. Franziska Völckner: Genau. Es wird erwartet, dass im Sinne des Kaufentscheidungsprozesses weitergedacht wird. Jenseits der Produktinformationen sollte idealerweise auch eine Kaufmöglichkeit oder eine Händlersuchfunktion integriert sein, oder man wird direkt zum gewünschten Laden navigiert. So etwas kann schließlich jedes Smartphone. Und, ganz wichtig, der dritte Punkt: Sicherheit. Gerade die QR-Codes sind ja ein wenig in Verruf geraten, nachdem Betrüger auf Plakaten gefälschte Codes angebracht und die Benutzer auf andere Seiten gelenkt haben.
Victoria Schlusche: Das wurde nicht bemerkt?
Prof. Dr. Franziska Völckner: Nein, sie haben einfach eigene QR-Codes über die Plakate geklebt, die Nutzer sind auf die Seite, und die Betrüger haben die Daten abgefischt. Das ist erst später herausgekommen. (Inzwischen warnt sogar das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor solchen Phishing- bzw. Atagging-Angriffen, Anm.d.Red.)
Victoria Schlusche: Wo Trends sind, gibt es auch jene, die sich weigern, sie mitzumachen. Dabei stellt sich natürlich die Frage: Passt mobiles Marketing zu jedem? Oder gibt es auch Branchen, welche von den mobilen Möglichkeiten überhaupt nicht profitieren?
Prof. Dr. Franziska Völckner: Momentan gibt es von Natur aus Unterschiede zwischen den Branchen, je nachdem, wie affin ein Konsument ist, online auch tatsächlich Einkäufe oder Ähnliches zu tätigen. Die klassischen Produkte, die online gekauft werden, sind natürlich auch im mobilen Bereich erst mal die stärksten. Bücher, Tickets für Events oder Konzerte, teilweise auch Bekleidung – das sind die ohnehin online gekauften Waren, die sich leicht auf die mobilen Angebote übertragen lassen. Doch komplexe, teure Produkte, bei denen das Kaufrisiko und der Beratungsbedarf groß sind, werden auch hier schwieriger durchzusetzen sein. Allerdings besteht dort bei anderen als den klassischen Touchpoints* sicherlich die Möglichkeit, gezielt mit neuen Ideen anzudocken.
Victoria Schlusche: Also könnte man zum Beispiel die Nachkaufphase besser nutzen.
Prof. Dr. Franziska Völckner: Genau, je nachdem, an welcher Phase das am besten zur Marke oder dem jeweiligen Produkt passt. Der generelle Trend geht dabei natürlich weg vom Push- und hin zu Pull-Marketing. Ich vermute, bei beratungsintensiven Produkten…
Victoria Schlusche: … ist die Andockmöglichkeit weiter hinten im Kaufprozess zu finden.
Prof. Dr. Franziska Völckner: Und dort liegen dann aber große Potenziale! In der Experiencephase, etwa für Feedback, kann mobiles Marketing dann wieder sehr relevant sein. Zum Beispiel als Ideengenerierungstool.
Victoria Schlusche: Sehen Sie Schwierigkeiten, was den Ausbau des mobilen Marketings bei einzelnen Firmen anbelangt? Irgendwelche Hürden?
Prof. Dr. Franziska Völckner: Es ist sicherlich schwierig, das zu pauschalisieren. Vom Grundsatz her denke ich, dass Unternehmen Mut haben müssen, Dinge im mobilen Marketing auszuprobieren. Selbst wenn man das Gefühl hat, dass manches gar nicht möglich ist, so wie beispielsweise bei Entwicklungen wie dem 3D-Druck. Viele Dinge, die man sich noch nicht richtig vorstellen kann, sind heute schon technisch weit entwickelt, aber eben noch nicht bei der Mehrheit angekommen.
Was auch noch sehr wenig genutzt wird, sind die umfangreichen Daten über den Endkunden, die theoretisch verfügbar sind. Wobei natürlich die Herausforderung darin besteht, mit diesem Big Data geeignet umzugehen. Die Entwicklung von Ansätzen der Datenverdichtung und -analyse zur Generierung entscheidungsrelevanter Informationen spielen hier eine ganz zentrale Rolle.
Victoria Schlusche: Die Aktionen sind heute schon vielfältig: Turnschuhe von Nike haben einen Telefonanschluss, und Corona schickte in Spanien Promoter mit Bluetooth-Sendern umher und versandte Nachrichten an die Empfänger, um sie täglich um 17 Uhr mit »It’s Corona time!« zur besten Feierabend-Uhrzeit an ihr Bierchen zu erinnern. Gab es in der letzten Zeit besondere Mobile-Marketing-Kampagnen, auf die Sie aufmerksam geworden sind?
Prof. Dr. Franziska Völckner: Besonders gut finde ich die Idee der virtuellen Einkaufsregale, die Tesco, ein Händler in Großbritannien, an U-Bahn-Wänden angebracht hat. Man fotografiert dort seinen Einkauf anhand von Etiketten und lässt ihn sich direkt nach Hause schicken.Wo man gut sieht, wie mobiles Marketing mehr als »bloße Werbung« sein und direkt zum Kauf führen kann. Das ist meiner Meinung nach auch der wesentliche Erfolgsfaktor des Mobile Marketings: Weg von der Werbung, hin zum Verkauf. Der klassische Fall ist immer noch, dass man, um das Beispiel wieder aufzugreifen, durch QR-Codes Produktinfos abruft, und diese dann oft so für sich stehen bleiben. Vielmehr ist aber die Überführung in eine Kaufentscheidung das Wesentliche. Dies muss eine Mobile Marketing-Kampagne an den »richtigen Stellen« leisten, das heißt abgestimmt auf die einzelnen Touchpoints entlang des Kaufentscheidungsprozesses dem Konsumenten jeweils entscheidungsrelevante Informationen bieten und diese mit einer Kaufmöglichkeit verknüpfen.
Victoria Schlusche: Wobei dann allerdings auch die Erfolgsmessung schwieriger werden wird.
Prof. Dr. Franziska Völckner: Nicht, wenn man den Erfolg an den jeweiligen Touchpoints misst. Das klassische Maß des »Last click« wird dadurch überholt werden, stattdessen gilt es die Vorkaufsphase genauer zu analysieren. Wie kam die Marke ins Consideration Set?, wie haben mobile Kampagnen dabei geholfen?, und so weiter.
Victoria Schlusche: Es ist also wichtig, dafür den gesamten Weg nachzuverfolgen, nicht nur den letzten Schritt.
Prof. Dr. Franziska Völckner: Mobiles Marketing sollte gerade ausmachen, den vollständigen Entscheidungsprozess einzufassen. Die zentrale Strategie dabei wird sein, den Onlinekanal mit dem Offline verknüpfen, ein ganzheitliches Konzept zu haben. Das interaktive Schaufenster ist da ein ganz gutes Beispiel für ein solches Multichannel-Konzept.
Frau Prof. Dr. Völckner, vielen Dank für das Gespräch!
* Als Touchpoints werden die einzelnen Andockungspunkte bezeichnet, die im Verlauf der sog. Consumer Decision Journey die zentralen Entscheidungsstellen sind. Genaueres darüber lässt sich hier nachlesen: McKinsey Quarterly: The Consumer Decision Journey, 2009
————————————-
Frau Prof. Dr. Franziska Völckner leitet das Seminar für Marketing und Markenmanagement an der Universität zu Köln und ist Förderprofessorin der Geschäftsstelle Köln.
————————————-
Autorin:
Victoria Schlusche
GS Köln
Interviewte: