Der SPON hat um Meinungen zum Thema Tageszeitungen 2020 gebeten. Hier wäre dann die meinige…
In der Diskussion um Tageszeitungen fallen immer wieder die gleichen Argumente: Mangelnde Aktualität, erhöhte Preise, kostenloses Internetangebot, zu viele belanglose Informationen während im Internet das geliefert wird, was mich interessiert, multimediale Angebote und Kommentarfunktion vs. One-way-Print-Kommunikation.
All diese Argumente sind richtig oder haben zumindest ihre Berechtigung. Doch reichen sie aus, um der Tageszeitung den Gnadenstoß zu geben? Sollte nicht der Zweck, der vom SPON angefachten Diskussion sein, ein neues Konzept für eine Tageszeitung zu entwickeln?
Ersteres möchte ich ein wenig anzweifeln und letzteres sehe ich nur in wenigen Kommentaren in den entsprechenden Foren…
Wer online, permanent aktuelle Informationen konsumieren möchte, der muss sich auch bewusst machen, dass Redakteure, Lektoren, Layouter, Programmierer, Server und der Wasserkopf eines Verlages Geld benötigen. Paid Content, Online-Werbung oder Quer-Subventionierung sind aber die einzigen Einnahmequellen, die ein Verlag hat. Wer ersteres nicht bereit ist zu zahlen und zweiteres mit Werbeblockern unmöglich macht, der torpediert damit langfristig seine so geliebte Nachrichtenquelle. Und selbst ohne Werbeblocker – wer klickt heute schon noch auf die Affiliate-Banner oder kauft anschließend etwas? Auf Dauer ist in meinen Augen nur Paid-Content in der Lage brandaktuelle Information online zu liefern. Defizitäre Tagespresse mit anderen Verlagsangeboten auf Dauer quer zu finanzieren ist betriebswirtschaftlicher Humbug.
Liebe „Ich-will-immer-aktuelle-Informationen-sofort-verfügbar-haben-und-mag-deshalb-keine-Tageszeitung- Menschen“, alles in dieser Welt hat seinen Preis! Ingwer, Iridium und auch Informationen. Und wer soll´s zahlen? Im Notfall verkaufen die Verlage eure Online-Leseprofile dann halt an die NSA – also nicht wundern, wenn bald die Korrelation von TAZ-Konsumierung und SEK-Besuchen ansteigt…
„Auf diese Weise lese ich auch „SZ“, „taz“, „FAZ“, aber vorgelesen von Hunderten Frühaufstehern, aussortiert, geliket, gelinkt, und dazu: „New York Times“, „Guardian“, „buzzfeed“, „New Yorker“, „Atlantic“, all das, was schlaue Menschen für mich durchwühlt haben und präsentieren wie eine Jagdbeute.“
Habe ich was verpasst? Seit wann sorgt die breite Masse an Likes dafür, dass auf meinem Facebook-Stream relevante Informationen angezeigt werden? Und welche schlauen Leute? Wer sucht denn wirklich aus? Kenne ich die, kennen Sie die etwa? Führt eine derartig undurchsichtige Auswahl und Höherbewertung von bestimmten Beiträgen im schlimmsten Fall nicht zu einer einseitigen Weltsicht? Wenn Algorithmen (, die NSA J) und Peers bestimmen, was ich lese, wird dadurch mein Horizont nicht auf einen bestimmten Teil des Angebotes beschränkt? Ja, okay. Man kann seine Filter und Quellen so bauen, dass man auch die Informationen der „anderen Seite“ liest – aber seien wir doch ehrlich! Wer macht sich die Mühe und nimmt sich die Zeit?
Einer der großen Vorteile einer Tageszeitung ist, dass man in ihr gelegentlich über Dinge stolpert, die keine Internet-Peer-Review für würdig erachten würde.
Aber natürlich wird keine gedruckte Tageszeitung dieser Welt mit der Aktualität des Internets mithalten können. Erst recht nicht mit der Verknüpfung von weiteren Inhalten – vor allem Bewegtbildern und Kommentaren. Dies wird sich bis zu druckfähigen, recyclebaren und internetfähigen Minibildschirmen in Papierformat auch nicht ändern.
Hat die Ich-lese-jeden-Morgen-auf-meinem-Ipad-Fraktion eigentlich schon mal über ihren dekadent digitalisierten Tellerrand geschaut? Mag sein, dass ein E-Paper-Abonnement günstiger ist als ein Print-Abo, aber es setzt den Besitz eines digitalen Endgerätes, egal welcher Herkunft voraus? Nicht jeder Bürger hat allerdings das Geld für ein solches Lesegerät. Zumal ich gern mal eine Studie lesen würde, was der ökologisch-ökonomische Ressourcenverbrauch von Smartphones und Tablets im Vergleich zu Tageszeitungen ist. So viele Windräder können im Allgäu gar nicht installiert werden, um jeden Abend die Smartphones der bayerischen Oberstufe aufzuladen. Zeitungen mögen Papier und Wasser „kosten“ aber diese Rohstoffe regenerieren sich selbst – seltene Metalle und andere Stoffe in digitalen Endgeräten eher schwer.
Zusammenfassend bin ich daher weiterhin der Meinung, dass Tageszeitungen durchaus ihre Daseinsberechtigung besitzen. Aber auch abseits der gerade dargelegten ernst gemeinten, journalistischen und konsumatorischen Gründe, gibt es einige – weniger ernst gemeinte – Punkte, die für das Weiterbestehen der Tageszeitung sprechen:
- Während ich eine einzige Tageszeitung in ihre Bestandteile zerlegt mit der ganzen Familie teilen kann, benötigt selbst Klein-Kai sein eigenes Tablett, um die Kinderseite anzuschauen, auch das kostet.
- Kein digitales Endgerät kann mit den haptischen Vorzügen eines Papierproduktes mithalten. Oder haben Sie sich schon mal bei Regen das Ipad über den Kopf gehalten? Der SPON eignet sich auch relativ schlecht zum Ausstopfen meiner regennassen Schuhe.
- Ganz zu schweigen von all den Obdachlosen – womit sollen diese sich ihre Behausungen auspolstern?
- Und was stecken sich Radprofis bei den Bergabfahrten ins Decolté? Klopapier?
- Vom Endzeit-ähnlichen Zustand der als Mückentöter eingesetzten Tablets und Smartphones möchte ich gar nicht erst anfangen.
Es wurde aber, wie anfangs schon angerissen, ein Konzept für die Tageszeitung 2020 gesucht. Nun ich bin der Meinung, dass ein Verlag auf zwei primären redaktionellen Beinen stehen muss: Einer schnellen Online-Redaktion und wochen- oder monatsweise herausgegebenen, investigativen, gründlich recherchierten und oft fokussierten Blättern. Ersteres versorgt die Leser mit aktuellen Informationen, kann schnell auf Veränderungen reagieren, Diskussionen ermöglichen und multimediale Inhalte liefern. Letzteres informiert gründlicher als Online dies jemals kann, denn die wenigsten Leser sind in der Lage wollen mehrere Seiten investigative dramatische Geschichten auf einem Mini-Tablet lesen. Zudem sorgt die Fokussierung für eine bessere Zielgruppenansprache – der Erfolg von Brand1, Landlust etc. sprechen für sich.
Doch wo ist in diesem Modell die Tageszeitung? Vergessen habe ich sie nicht!
In meinen Augen gibt es für die Tageszeitungen langfristig drei Überlebensstrategien: Subventionierung, Niveaulosigkeit und Kollaboration.
Subventionierung defizitärer Blätter durch erfolgreichere halte ich betriebswirtschaftlich für auf Dauern nicht durchführbar – vor allem nicht bei Verlagen, die immer mehr auf die Rendite schauen. Die FTD-Redaktion weiß, was damit gemeint ist. Um die Kosten entsprechend zu senken, kann natürlich der redaktionelle Anspruch gesenkt werden. So gestaltete Zeitungen werden sich durchaus in Nischen etablieren können oder wie die Bild-zeitung durch Masse rentabel werden und eine bestimmte Klientel ansprechen. Dies entspricht aber vermutlich weder dem journalistischen Anspruch des Spiegels noch der von ihm erwarteten Antwort.
Es bleibt die Kollaboration.
Grundvoraussetzung für eine Tageszeitung ist in meinen Augen ein redaktionelles weiterhin hohes Niveau, das auch nicht durch zusammengespartes Lektorat diskreditiert wird. Fehlende Buchstaben auf der FAZ-Titelseite sind nicht zu tolerieren. Allerdings ist das kostenintensiv und mit schwindender Auflage und sinkenden Anzeigenpreisen schwer zu vereinen. Meine Lösung wäre eine Tageszeitung, die durch die Kollaboration unterschiedlichster Verlage entsteht. Ja, Sie haben richtig gelesen! Konkurrenzunternehmen müssen kooperieren, um den Veränderungen des Konsumverhaltens adäquat zu begegnen. Die Automobilindustrie ist hier bereits Vorreiter. Solch gemeinsam erstellten Blätter vereinen zwei Vorteile auf einmal: Sie sind kostengünstiger zu produzieren und bieten und erreichen durch geschickte Kombination von Themen und kontroverserer Berichterstattung ein breiteres Publikum. So kann jede Redaktion ihre Stärken ausspielen, die Auflage steigt und damit die Anzeigenpreise. Wird dies noch mit den digitalen Möglichkeiten von Mass Customization kombiniert, kann sich jeder Leser in einem Abo die für ihn relevanten Teile der Tageszeitung zusammenstellen. So kommt nur das Beste aus den jeweils besten Redaktionen zu ihm, und interessiert ihn. Oder er hat so die Möglichkeit jeden Tag vor neue geistige Anregungen gestellt zu werden.
PS: Die Leser, die bis hierhin gelangt sind, oder psychologisch getrieben gleich zum PS gesprungen sind, werden festgestellt haben, dass dieser Kommentar sehr lang ist. Online ist dies nicht sonderlich angenehm zu lesen. Das ist mir auch bewusst. Hier offenbart sich, dass Onlineredaktion sehr viel höhere Ansprüche an das schreiberische Können der Journalisten und das Layout der Artikel setzt als Printredaktion.
Autor: