Wie sieht es eigentlich in der Zukunft mit dem Thema Mass Customization aus? Für die Printausgabe der Ausgabe 16 hat Tobias Theelen verschiedene Experten befragt. Von Prof. Dr. Dominik Walcher, Head of Marketing and Innovation Management an der Salzburg University of Applied Science, könnt ihr nun das ungekürzte Interview lesen.
Tobias Theelen (T): Mass Customization wird momentan hauptsächlich von der Konsumgüterindustrie genutzt. Welche weiteren Segmente werden in Zukunft auf Mass Customization zurückgreifen bzw. für welche wäre es sinnvoll?
Prof. Dr. Dominik Walcher (W): Tatsächlich hat Mass Customization seine Wurzeln im B2B-Bereich. Spezial- und Einzelfertigungen sind im Industriegüterbereich eher die Regel als die Ausnahme, weshalb dort auf kundenindividuelle Anforderungen besonders eingegangen wird. Durch die Verbreitung von flexiblen Fertigungsverfahren sowie einer Fokussierung auf modulare Produktarchitekturen begleitet von großen Fortschritten im Bereich moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (Stichwort: Online-Konfiguratoren) hat Customization Einzug in den B2C-Bereich gehalten. Es finden sich heutzutage kaum noch Bereiche im B2C Bereich, in denen es kein Customization-Angebot gibt. Unsere Studie „The Customization 500“ gibt einen Überblick über die derzeitigen Angebote. Vom Kinderschnuller über das Fahrrad bis hin zu Erotikspielzeug kann alles kundenindividuell angepasst werden. Grundsätzlich glaube ich, dass Mass Customization so „normal“ wie E-Commerce allgemein werden wird.
T: Der Kundenanspruch wird durch wachsende Informationsbegierde und neue Technologien immer größer. Wie kann man diesem Anspruch in Zukunft mit Mass Customization für ein erfolgreiches Customer-Relationship-Management begegnen?
W: Individuen müssen sich in der Gesellschaft einerseits konform verhalten, sich also an die sozialen Regeln halten, um nicht „verstoßen“ zu werden, andererseits ist der Wunsch „besonders“ und „anders als die anderen“ zu sein – sich somit bis zu einem gewissen Grad nonkonformistisch zu verhalten – groß. Dieser Drang nach Einzigartigkeit, in der Psychologie als „need for uniqueness“ bezeichnet, die Neugier nach Neuem sowie die immensen Möglichkeiten neuer Technologien bereiten den Boden von Mass Customization. Da Customization somit grundlegende menschliche Bedürfnisse adressiert, sehe ich für das Thema in Zukunft noch große Entwicklungsmöglichkeiten. Die Daten, die während der Kundeninteraktion, also z.B. beim Konfigurieren der neuen Hose, anfallen, können von Unternehmen zum Aufbau eines dauerhaften CRMs genutzt werden.
T: Wird Mass Customization die einfache Massenproduktion und Einzelproduktionen in Zukunft vom Markt verdrängen?
W: Nein, ich glaube, dass die Zukunft nach wie vor von Standardprodukten dominiert wird, der Anteil von Customization-Produkten wird zum Stand heute jedoch stark zunehmen. Die Experten unsere Delphi-Studie zum Thema „The Future of Mass Customization“ schätzten den Anteil von kundenindividuell angepassten Produkten, z.B. im Kleidungsbereich, bei ca. 30% im Vollausbau.
T: Wie weit wird die Erstellung des Produktes zukünftig in die Hände der Kunden gelegt? Wird das Produktdesign bald komplett vom Kunden bestimmt?
W: Unternehmen haben erkannt, dass mit “design-your-own”- und “do-it-yourself”-Angeboten Kunden angezogen werden können. Im Grunde ist die Situation paradox: Der Kunde muss mehr arbeiten, ist davon aber begeistert und zahlt auch noch mehr dafür. Die Gründe liegen einerseits darin, dass der Kunde seinen Freiheitsdrang und seine Kreativität bei solchen Angeboten ausleben kann und nach erfolgreicher Erledigung ein tiefes Gefühl des Stolzes erlebt. Auch ist die Anerkennung durch Dritte für das Selbstgemachte ein starkes Motiv. Die Integration des Kunden ist dabei von der Komplexität des Produktes abhängig.
T-Shirts lassen sich beispielsweise ohne Spezialwissen gestalten, während dies bei Fahrzeugmotoren ganz anders geartet ist. Aber auch hier sehe ich durch die Tatsache, dass Konsumenten immer geübter im Bedienen von Online- und Customization-Angeboten werden (=Kundenerziehung), und dadurch, dass durch moderne Visualisierungstechnologien auch komplizierte Sachverhalte verständlich dargestellt werden können, eine Verschiebung in Richtung komplexerer Produkte. Die Aufgabe der professionellen Designer und Produktmanager der Zukunft wird es immer mehr sein, den Lösungsraum, also die Menge der Möglichkeiten, die der Kunde selbst gestalten kann, zu definieren.
T: Die Erstellung eines individuellen Produktes wird momentan meist online durch Baukästen oder 2D- bzw. 3D-Simulationen ermöglicht. Es ist sogar schon möglich seine selbst erstellte Brille per Webcam anzuprobieren. Auf welche Technologien wird Mass Customization in Zukunft seinen Fokus legen? Welche Technologien sollten weiterentwickelt werden?
W: Ich sehe drei Technologiebereiche, die für Mass Customization entscheidend sind.
So konnte man in den letzten Jahren enorme Entwicklungen im Bereich der Online-Konfiguratoren erkennen. Hierbei geht es um die so genannte „Choice Navigation“, also die Fähigkeit, das Angebot und die Individualisierungsmöglichkeiten dem Kunden möglichst einfach und logisch darzustellen. Die neuesten Entwicklungen gehen dahin, dass sich Unternehmen keinen eigenen Konfigurator mehr teuer erstellen lassen müssen, sondern die Funktionalitäten via Software-as-a-Service (SaaS) online nutzen können. So bietet beispielsweise combeenation.com einen Konfigurator für Konfiguratoren an. Man erstellt zunächst ohne Kosten online sein Angebot. Gebühren fallen erst an, wenn die ersten Produkte tatsächlich verkauft werden. Dies ist besonders für Startups, die finanziell nicht gut ausgestattet sind, sehr interessant.
Als nächste wichtige Entwicklung sehe ich „Confirmation-Technologies“. Jede Kaufentscheidung ist von Unsicherheit begleitet. Gerade bei E-Commerce-Käufen fehlt das „touch and feel“, was die Unsicherheit noch steigert. Dies abzubauen, ist die Aufgabe der neuen Technologien. Dazu gehören 3D-Visualisierungstechniken, wie z.B. auch Augmented Reality.
Als letztes geht es um die „Abwicklungstechnologien“. Flexible Fertigungsverfahren, wie Drucken, Sticken, Laserschneiden, 3D-Drucken etc. haben in den letzten Jahren große Entwicklungen durchlaufen. Erfolgreiche Mass-Customization-Firmen beherrschen diese Fertigungsprozesse. Wichtig ist zudem, dass die Skalierung klappt. Positive Berichterstattung, wie z.B. TV-Berichte oder Social-Media-Beiträge, aber auch saisonale Schwankungen, wie z.B. durch Weihnachten, können die Bestelleingänge schnell um das zehn- bis hundertfache ansteigen lassen. Dies muss vom Unternehmen bewältigt werden – einerseits eine Aufgabe für die Fertigung, aber in weiterer Folge auch für Vertrieb und Logistik. Fortschritte bei Technologien, die diese Aufgaben zu bewältigen helfen, sind dabei für die Zukunft überlebenswichtig.
Autor:
Tobias Theelen
GS Paderborn