Nach dem europäischen Verkaufsstart im November 2012 hat sich Nintendos neues Flaggschiff, die Wii U, zum Flop entwickelt. Aber wie kam es dazu? Gerade nach dem Megaerfolg der Wii sollte es, so meint man, kein Problem sein, ein Nachfolgeprodukt zumindest relativ erfolgreich am Markt zu etablieren. Doch weit gefehlt! Fatale Marketingfehler lassen einen Traditionshersteller alt aussehen – ein Erklärungsversuch.
Vorgeschichte und Produktvorstellung
Die Vorgängerkonsole Wii war ein weltweit durchschlagender Erfolg – mit mehr als 100 Millionen verkauften Konsolen [1] stieg sie schnell zu einer der meistverkauften Spielekonsolen aller Zeiten auf. Entscheidend war die neue Bewegungssteuerung und die Erschließung einer komplett neuen Zielgruppe – die „Casual Gamer“ oder auch Gelegenheitsspieler genannt. Gerade die Fokussierung der Marketing-Aktivitäten auf eben diese Zielgruppe führte zu einem Umdenken in der Spieleindustrie und längst sind auch Microsoft und Sony auf diesen Zug aufgesprungen.
Als jedoch 2011 der Zenit der Wii überschritten war, sah sich Nintendo gezwungen nachzulegen. Im Jahr 2012 wurde die Nachfolgekonsole vorgestellt – Die Wii U. Sie sollte nicht nur in HD auflösen, sondern auch auf einen der größten Trends aufspringen – den Second Screen (durch den Controller der einen Touchscreen beinhaltet). Zudem wollte man mit der neuen Plattform auch eine alte Zielgruppe wieder ansprechen, die „Core-Gamer“. Doch hier beginnt auch schon das Debakel. Man versäumte es nicht nur, auf der E3 (wichtigste Spielemesse der Welt) einen finalen Preis zu nennen, auch technische Spezifikationen wurden verschwiegen. Nachgeliefert wurden diese, sowie einige neue Launch-Titel am Tag nach der iPhone 5 Vorstellung, was dazu führte das diese schlicht im Rummel um das iGedöhns untergingen. Ein regelrechter Informations-Gap entstand.
Die Produkteinführungsphase
Die Einführung im November 2012 war insofern schlau gelegt, dass man damit rechnete, das Weihnachtsgeschäft mitnehmen zu können. Dies ging zumindest teilweise auf: Anfang 2013 meldete man recht gute Verkaufszahlen [2]. Allerdings waren diese wohl fast ausschließlich auf Markenfans mit hoher Awareness zurückzuführen, die schon ewig jede Nintendo Konsole bei Erscheinen kaufen. Bei der breiten Zielgruppe war die Verunsicherung zu groß. Handelt es sich um ein neues Produkt? Ein Zubehör zur Wii? Ein Upgrade? Hier ein Launch-Spot aus den USA der die ungenaue Kommunikation beispielhaft zeigt:
Nicht selten waren deshalb Kommentare wie, „das ist doch dieser neue Tablett Controller für die Wii“, zu hören. Nintendo hatte es von Anfang an versäumt, das Produkt eindeutig zu positionieren. Schon der Name war vermeintlich zu ähnlich zum Vorgänger und die TV-Spots machten nicht deutlich, dass es sich tatsächlich um etwas Neues handelt. Gerade bei der Konzentration auf eine Zielgruppe, die über die klassischen Core Gamer hinausgeht, ist eine eindeutige Ansprache gefordert. Zu den klassischen Spielern bleibt zu sagen, dass sich diese durch den Spot genauso wenig angesprochen fühlen; spielende Kids und hüpfende Omas? Da konnte selbst die Dubstep Unterlegung nichts mehr rausreißen. Nach den anfänglich passablen Verkaufszahlen machte sich bald Ernüchterung breit. Der Spielenachschub fehlte fast gänzlich, und durch die bald immer weiter absackenden Zahlen ließ auch der ohnehin knappe Dritthersteller Support nach.
Netzeffekte bei Spielekonsolen und die Abwärtsspirale der Wii U
Jetzt zum Marketingfachwissen – Zeit die „Nerd-Hipster-Brille“ rauszuholen und einmal kurz durchzuschnaufen! Los geht’s. Konsolen sind Netzprodukte. Diese setzen sich aus zwei Produktnutzen zusammen: dem originären, gekennzeichnet durch die Eigenschaften des Produktes, und dem derivativen, gekennzeichnet durch die Abhängigkeit von der aktuellen und zukünftigen Verbreitung des Produktes [3].
Zudem spielen indirekte Netzeffekte eine große Rolle. Diese besagen, dass der Nutzen des Produktes mit der Verbreitung von Komplementärprodukten steigt. In diesem Falle würde also ein breiteres Softwareangebot den Nutzen der Wii U erhöhen und so die Verkaufszahlen steigern[3]. Genau dieser Effekt führt auch zur Abwärtsspirale der Verkäufe. Durch die geringe Hardwarebasis sprangen die Publisher ab und es erschienen weniger Spiele. Der Nutzen der Konsole sank weiter, dadurch die auch die Nachfrage und dadurch dann wieder die Unterstützung durch die Publisher.
Aktueller Stand und Ausblick
Für das letzte Jahr prognostizierte Nintendo 9 Millionen verkaufte Einheiten. Daraus wurden nun läppische 2,8 Millionen [4]. Daraufhin kürzte Chef Satoru Iwata sein Gehalt um 50 Prozent. Softwarenachschub gibt es u.a. mit Donkey Kong Country: Tropical Freeze, Mario Kart 8 und Super Smash Bros. U. Allerdings sind drei potentielle Topseller für ein Unternehmen wie Nintendo zu wenig. Gerade wenn man betrachtet was Dritthersteller für Xbox One und Playstation 4 in petto haben. Auf der jüngsten Pressekonferenz gab man bekannt, das Problem erkannt zu haben – nach dem Launch vor über einem Jahr immerhin die erste Einsicht. In Zukunft werde man in der Kommunikation mehr auf die Fähigkeiten des Gamepads eingehen und mit Apps für Smartphones die eigenen Produkte stärker bewerben. Man kann sich auch vorstellen, fremde Entwicklerstudios aufzukaufen und so sein Portfolio zu erweitern. Ob dies reicht ist mehr als fraglich – gerade in dieser angespannten Situation wäre ein krasser Kurswechsel notwendig. Nicht nur in der Werbung sollte man mal richtig „auf die Kacke hauen“ und das Ding endlich passend mit ausreichend Media-Budget bewerben. Man sollte sich auch endlich entscheiden, welche Zielgruppe man mit dieser Konsole denn erreichen will. Zudem muss Nintendo, nachdem der Dritthersteller-Support fast völlig weggefallen ist, das Ruder selbst wieder rumreißen und mit der Softwareentwicklung einen Zahn zulegen – ein echter Systemseller fehlt bis jetzt. Die nötigen Voraussetzungen sind vorhanden. Die Konsole hat durch den Second Screen und die vom Vorgänger übernommene Bewegungssteuerung durchaus Potenzial und auch die starken exklusiven Marken von Nintendo sind ein wahrer Unique-Selling-Point. Die Alternative wäre, die Sache mit der WiiU einfach noch 1-2 Jahre auszusitzen und dann etwas Neues auf den Markt zu bringen. Vielleicht überlegt man sich ja dann vorher, wie man das Produkt vermarkten will und nicht erst wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.
P.S.: Hiermit laden wir Nintendo dazu ein, mit uns über dieses Thema zu diskutieren; Chance wäre der Digital Marketing Congress in Hamburg.
Artikel in Englisch
Autor:
Chris Karl
Chris Karl studiert BWL mit Schwerpunkt Marketing und Medien an der Uni Hamburg. Er war ein Jahr lang Ressortleiter Kommunikation der MTP Geschäftsstelle Hamburg und ist Teamleiter Design und Kommunikation beim Digital Marketing Congress 2014. Dieses Thema liegt ihm besonders, da er wie die meisten von uns mit Nintendo64 und Folgekonsolen aufgewachsen ist.
Quellen:
[1] http://de.statista.com/statistik/daten/studie/261810/umfrage/weltweite-verkaufszahlen-der-nintendo-wii
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