Project X und die Krautreporter | MTP e.V.

Was ein studentisches Abschlussprojekt und die seit langem größte Journalismus-Debatte im Netz gemeinsam haben

Es sollte die große Revolution für die Zukunft des Journalismus werden. „Der Online-Journalismus ist kaputt. […] Wir kriegen das wieder hin“, heißt es auf der Webseite der sogenannten Krautreporter. In nicht mal mehr 48 Stunden läuft das Crowdfunding für das geplante Online-Magazin aus und nur zwei Drittel der benötigten Unterstützer konnten bis dato gewonnen werden. Im Netz ist besonders in den letzten Tagen der Crowdfunding-Phase eine emotionale Debatte darüber ausgebrochen, weshalb das Projekt gescheitert sein könnte. Vorwurfsvolle Stimmen werden laut, die Krautreporter hätten die Bedeutung ihres Vorhabens nicht ernst genug genommen. „Gescheitert an sich selbst“, so das harte Urteil zu dem Projekt, in dem so viel Hoffnung und Mut steckte. Was ist auf dem Weg zum Ziel passiert? Warum blieb die notwendige Unterstützung der „Crowd“ aus?

Der Blick zurück führt uns nach Berlin. Vor ungefähr einem halben Jahr starteten vier Studierende ihr Kommunikationsprojekt im Rahmen ihres Studiums der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Dieses gehört zum Curriculum ihres Studiums und muss für einen realen Auftraggeber durchgeführt werden. Während andere Kommilitonen ihre Projekte mit Kanzleien oder Unternehmen umsetzten, trafen sich Thanh Nguyen, Jessica Weber, Peter Gunkel und Christoph Bürglen mit dem Gründer der Journalismus-Crowdfunding-Plattform Krautreporter, Sebastian Esser. Sie erfuhren hier erstmals von der Idee, eine unabhängige, leserfinanzierte sowie rein onlinebasierte Nachrichten-Plattform zu starten. Eine Idee, die ihnen im ersten Moment nicht weniger als größenwahnsinnig erschien. „Wir hatten damals bei der anfänglichen Akquise für Projektpartner viele interessante Optionen. Sichere Optionen! Doch wir haben uns für den womöglich unbequemeren Weg entschieden. Keiner wusste zu diesem Zeitpunkt, wo dieses Projekt konkret hinführen wird oder ob es den universitären Ansprüchen überhaupt gerecht werden kann. Wir haben es trotzdem gewagt und letztendlich die Möglichkeit erhalten, Teil eines bedeutenden Projekts und einer großen Bewegung zu werden.“, erinnert sich Thanh Nguyen. Von da an war das Team Feuer und Flamme für ihre Aufgabe mit dem Arbeitstitel „Project X“. Im ersten Schritt wurden sowohl Interviews mit Branchenexperten als auch intensive Gespräche mit potenziellen Lesern geführt. Mit Hilfe der Methodik „Storylistening“ ging es dabei vor allem darum, der Zielgruppe zuzuhören und ihre Bedürfnisse und Ansichten zu verstehen. „Meistens lese ich die ZEIT. Die lese ich schon immer.“, „Wenn es schnell gehen muss, schaue ich online nach.“, „SPIEGEL ONLINE ist ein reiner Ticker für mich.“, lauteten hier einige Zitate.

Es ist ein Dilemma: Die hochwertigen, ausführlichen Artikel im Print werden geschätzt, das Format jedoch nervt, doch es ist halt immer noch Print. Das ist was seriöses, was Handfestes (im wahrsten Sinne des Wortes). Es braucht also ein Format, welches eine ebenbürtige Standfestigkeit und Seriosität vermittelt und das Bedürfnis des Lesers nach individuellen und tiefgründigen Nachrichten stillt, ohne auf den klickgetriebenen, schnellen und massentauglichen Online-Journalismus zurückgreifen zu müssen. So entwickelte das Team mit Unterstützung des Gründerteams, der Autoren und der Partner das Geschäftsmodell sowie Ideen zur kommunikativen Verbreitung der neuen Plattform. Das Selbstverständnis des Projektes wurde hier nicht nur dem Gründer Sebastian Esser klar: „Journalismus ist zu wichtig, um ihn Verlagen zu überlassen.“

Slow Food-Bewegung des Journalismus

Geschafft war es für die vier Studierenden damit nicht. Denn nun stand die Entwicklung der Crowdfunding-Kampagne an. Das Kommunikationsziel dieser sollte es sein, ein Bewusstsein bei den Lesern zu schaffen, dass guter Journalismus nicht kostenlos sein kann. Um das Online-Magazin ein Jahr lang herausgeben zu können, müssen innerhalb eines Monats 15.000 zahlende Unterstützer gewonnen werden. Grundlage der Kommunikationsstrategie war die allgemeine Annahme, dass ein grundlegendes und flächendeckendes Bedürfnis nach Qualitätsjournalismus vorhanden ist; nur dass dieser eben aktuell nicht einfach so richtig vorhanden ist im Netz. Das ist die Nische, die das Team auch Slow Food-Bewegung des Journalismus nennt. Denn wie auch im Lebensmittelbereich sind die Schnelllebigkeit und der massenhafte Konsum nicht nur für den Einzelnen „ungesund“, sondern haben auch weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft. So gab es keine naheliegendere Basis für die Kommunikationsstrategie als die Tatsache, dass es unabhängigen Journalismus im Netz braucht für unsere Gesellschaft! Dafür ließ das Team die Autoren einfach selbst sprechen: Mit einer Video-Botschaft der Krautreporter-Redaktion sollten die Leser darauf aufmerksam gemacht werden, warum es genau dieses Produkt genau jetzt braucht. Das Video und die Botschaft der Kampagne verbreiteten sich wie ein Feuer durch die Medienlandschaft und löste hitzige Debatten im Netz aus.

„Nenne eine Lüge eine Lüge, wenn es eine Lüge ist!“, ist eines der Statements in dem Video, das auch präsent auf der Krautreporter-Seite zu sehen ist. In diesen Worten steckt mehr drin, als wir uns vielleicht im ersten Moment bewusst sind: Woher können wir wissen, dass ein Medium, welches von Verlags- und Anzeigenkundeninteressen abhängig ist, uns immer die Wahrheit erzählt? Uns stets völlig objektiv informiert? Ist das überhaupt möglich? Beziehungsweise, sind wir überhaupt bereit, die Wahrheit zu hören und hören zu wollen?

Ich frage mich, wovor wir Angst haben.

Wir schimpfen auf zu wenig Enthusiasmus und zu viel Arroganz von den Krautreportern, besitzen aber selbst nicht den Mut, es besser zu machen. Wir verlassen uns darauf, was uns erzählt wird und sind enttäuscht, wenn eine Kampagne uns nicht die Tränen in die Augen treibt.

Angst davor, aktiv zu werden und selbst Verantwortung zu übernehmen?

Ich ziehe meinen Hut vor dem Gründerteam und den vier Studierenden aus Berlin, die in den letzten Monaten alles gegeben haben, um dieses Pilot-Projekt zu verwirklichen. Ich danke euch für euren Einsatz und hoffe, dass die Idee nicht scheitert, selbst wenn die 15.000 Unterstützer am Freitagabend nicht erreicht werden sollten.

Über die Autorin:

Lisa Marrold

GS Berlin

Lisa Marrold studiert Wirtschaftskommunikation an der HTW in Berlin. Bei MTP engagiert sie sich bereits seit dem ersten Semester und war in der Amtszeit 2012/13 2. Nationale Vorsitzende. Aktuell leitet sie den Anzeigenverkauf beim Mehrwert. Seit März 2013 ist sie Trainerin für Vorstände, Präsentation / Rhetorik und Kreativkompetenzen.

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