Firmen wollen wissen, was Kunden wollen. Doch was wollen Kunden und warum? In Zeiten gesättigter Märkte und Überfluss ist dies eine wichtige, aber auch schwer zu beantwortende Frage.
Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), scheitern 70 Prozent der neu eingeführten Produkte im Bereich „Fast Moving Consumer Goods“ (FMCG). Dies hat Fehlinvestitionen von zehn Milliarden Euro pro Jahr zur Folge. Daher nochmal die Frage: Was wollen Kunden? Häufig kennt der Kunde die Gründe für sein Kaufverhalten selbst nicht und weiß nicht warum er oder sie ein bestimmtes Produkt einem anderen vorzieht. Dies stellt Hürden für Marktrecherchen dar, da ein Kunde keinen Grund nennen kann, den er nicht kennt. Die Ergründung der menschlichen Entscheidungsprozesse ist hierbei ein essenzieller Faktor.
Marketing wirkt im Gehirn. Das klingt logisch, findet in der Praxis aber nicht immer so leicht Anwendung. Neuromarketing beschäftigt sich damit, wie die Erkenntnisse der Hirnforschung im Marketing genutzt werden können. Ein Verständnis dafür, wie die menschlichen Sinne funktionieren und wie Menschen wahrnehmen, sind essenzielle Teile dieses neuen Bereichs der Neurowissenschaften. Insbesondere die visuelle Verarbeitung nimmt mehr Fläche des menschlichen Gehirns ein als irgendein anderer unserer fünf Sinne. Somit ist das Sehvermögen des Kunden im Marketing von besonders großem Interesse. Von TV- und Plakatwerbung bis hin zur Internetpräsenz und Produktverpackung sprechen sie alle diesen wichtigen Teil an. Unternehmen recherchieren und investieren und doch gibt es immense Fehlinvestitionen. Die gute Nachricht ist, dass die Lösung in uns allen verankert ist.
Wir sind wählerisch
Das Gedächtnis ist selektiv. Wie es funktioniert und was tatsächlich dort ankommt, wird unter anderem durch die Anzahl der Synapsen im Gehirn bestimmt. Die Wiederholung von Werbung ist daher äußerst sinnvoll, sie muss jedoch effektiv wiederholt werden. Schaut man beispielsweise einen Werbespot für Waschmittel und kann auch nach dem fünften Mal nicht sagen, welche Marke in dem Spot beworben wird, dann ist die Marke im Gedächtnis nicht angekommen. Folglich hat dieser Spot auch keinerlei Effekt, wenn der Kunde im Supermarkt vor dem Regal steht und eine Entscheidung treffen muss. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen dem semantischen und dem episodischen Gedächtnis, wobei es noch weitere Gedächtnistypen gibt. Das semantische ist das Weltwissen umfassende Langzeitgedächtnis, während das episodische ein Teil dessen ist und persönliche Erfahrungen und Emotionen vergangener Ereignisse beinhaltet. In der Werbung kann hiervon Gebrauch gemacht werden, indem man Dinge anspricht mit denen sich die meisten Menschen identifizieren können. Das Wichtigste ist, zu wissen, womit sich die Zielgruppe des Produkts identifizieren kann.
Das semantische und episodische Gedächtnis und deren Zusammenspiel entscheiden über die Wahrnehmung von Marken und Werbung. Ebenso wie das bewusste und unbewusste Denken. In diesem Zusammenhang sind das implizite und das explizite System von großer Bedeutung. Dr. Christian Scheier, Neuropsychologe und Geschäftsführer der decode Marketingberatung, beschreibt in seinem Beitrag „Über den Mehrwert der Hirnforschung für das Marketing“ das implizite System als das unbewusste und das explizite als das bewusste System. Das implizite System ist entscheidend für das Kaufverhalten, da dieses System laut Gerald Zaltman, Professor der Harvard Business School, bis zu 95 Prozent des Kaufverhaltens steuert. Gelingt es also eine Gewohnheit in Verbindung mit einem Produkt zu entwickeln, die dann Teil des impliziten Kaufverhaltens wird, gewinnt das Unternehmen einen Anteil an diesen 95 Prozent. Procter & Gamble (P&G) hat dies mit der „Febreze strategy“ erreicht. Als das Unternehmen bemerkte, dass die Situationen schlechter Gerüche nicht häufig genug auftreten, entschieden sie eine andere Assoziation für den Textil- und Lufterfrischer zu kreieren. Kunden sollten Febreze in den Alltagsablauf einbinden, indem der frische Geruch in Verbindung mit Sauberkeit als letzter Schliff einer täglichen Haushaltsarbeit positioniert wurde. Das Produkt fand häufiger Anwendung und die Verkaufszahlen steigen.
Die Macht der Emotionen
Emotionen und das Gedächtnis sind im Gehirn miteinander verbunden, wodurch emotional bedeutsame Botschaften besser gespeichert werden. Sind sie in der Werbung präsent, können sie demnach die entscheidende Tür zum Kopf des Kunden öffnen, sofern sie gezielt angewendet werden. Innerscope Research hat in einer Studie herausgefunden, dass eine emotionale Bindung Menschen dazu verleitet einen Werbespot anzuschauen, sofern diese Verbindung in den ersten Momenten hergestellt wird. Frei nach dem Motto „Das Beste kommt zuerst!“, um kein Risiko einzugehen, dass sich der potenzielle Kunde abwendet. Da wir mehr Informationen erhalten, als wir verarbeiten können, ist ein sogenannter „attention grabber“ (Aufmerksamkeitserreger) wichtig. Es sollte stets eine gute Balance zwischen diesem und dem eigentlichen Inhalt existieren. Des Weiteren tendieren manche Firmen dazu, den potenziellen Kunden mit Zahlen zu überhäufen, mit denen die meisten ohnehin nicht viel anfangen können. Ein Informationsüberfluss kann sogar Verwirrung oder Interessensverlust auslösen, insbesondere wenn alles nach einer Verschleierungstaktik aussieht. Schließlich speichern wir im Durchschnitt ca. sieben Dinge plus minus zwei im Kurzzeitgedächtnis (The Magical Number Seven, Plus or Minus Two). Durch Emotionen kann ein schnellerer Zugang erfolgen und der Kunde speichert Informationen durch die emotionale Verbindung leichter ab, die begrenzte Kapazität des menschlichen Gedächtnisses bleibt jedoch bestehen.
Will man Kunden informieren, sollten Unterschiede zu Produkten anderer Marken klar kommuniziert werden. Es ist aber auch wichtig aufzuzeigen, warum diese Unterschiede für den Kunden von Bedeutung sind. Man muss als Unternehmen einfach frei nach David Ogilvy erklären: „What the product does, and who it is for“. Im Zuge dessen ist es wichtig, die Zielgruppe genau zu kennen, um zu entscheiden, welche Unterschiede für die Kunden wichtig sind.
Die Praxis
Viele Produkte scheitern, obwohl sie getestet wurden, denn manchmal sind Antworten nicht akkurat, weil man die falschen Fragen stellt. Innovative und gezielte Testmethoden könnten eine Lösung sein. Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass es eine allgemeingültige Methode für alle Produkte gibt. Firmen sollten herausfinden, welche Testarten zielgruppengerecht und für das jeweilige Produkt geeignet sind. Als Unilever 2006 gemeinsam mit der Wiener Agentur Neuroconsult die Schreckreflex-Methode anwandte, um die Lidschläge der Testteilnehmer zu messen, kam heraus, dass der Konsum von Eis mit mehr Genuss verbunden wird, als der Konsum von Joghurt oder Schokolade. Schlussfolgernd ist mehr Werbung für die beiden letzten Produktkategorien nötig, als für Eis, was wiederum eine effizientere Verteilung des Marketingbudgets ermöglicht. Diese Erkenntnis hätte das Unternehmen in einer Umfrage nicht erlangen können, da dies auf Nervenfunktionen im Gehirn basiert und vom Kunden nicht bewusst wahrgenommen wird. Die Campbell Soup Company änderte ihre Etiketten auf ihren Dosensuppen, nachdem sie 40 Testpersonen mit eye tracking cameras und Spezialwesten zur Messung von Hautfeuchtigkeit, Puls, Atmung und Körperhaltung in den Supermarkt schickten. Die Teilnehmer kritisierten, die Suppe wirke auf den Etiketten nicht warm und der Löffel sei emotional nicht ansprechend. Campbell ließ die Suppe dampfender aussehen, ersetzte den Teller durch einen moderneren weißen und ließ den Löffel verschwinden.
Diese Form der Marktrecherche ist auch für andere Unternehmen interessant. Somit wird Coca Cola nach eigenen Angaben ab 2014 von Neuromarketing Gebrauch machen, um Kundenemotionen einschätzen zu können. Unilever plant ebenfalls Neuromarketing für seine Werbekampagnen zu verwenden. In beiden Firmen soll insbesondere die Facial Analysis (Gesichtsanalyse) genutzt werden.
Neuromarketing kann in Zukunft Türen öffnen und völlig neue Möglichkeiten aufzeigen. Denn letztendlich entscheidet das Unterbewusste des Kunden meist über Erfolg oder Scheitern des Produkts.
Über die Autorin:
Nadine Urso
Nadine Urso kommt ursprünglich aus Düsseldorf und absolviert momentan ihren MBA an der Fontys International Business School in den Niederlanden. Sie hat bereits einen Bachelor in Marketing und International Business und beschäftigt sich auf Grund ihrer großen Leidenschaft für Marketing mit neuen Themen wie Neuromarketing, da sie zukunftsorientierte Themen besonders interessieren.
Bibliographie
BRAT, I. (2010). The emotional quotient of soup shopping [online]. New York, Dow Jones & Company.
http://online.wsj.com/news/articles/SB10001424052748704804204575069562743700340
GESELLSCHAFT FÜR KONSUMFORSCHUNG (GfK), Pressemitteilung
HAQ, A. (2007). This is your brain on advertising [online]. New York, Bloomberg L.P.
OGILVY, D., 2007. Ogilvy on Advertising, p.12
SCHEIER, C., Neuromarketing – Über den Mehrwert der Hirnforschung für das Marketing
SCHEIER, C./HELD, D., 2006. Wie Werbung wirkt – Erkenntnisse des Neuromarketing.
Haufe ZURAWICKI, L., 2010. Neuromarketing – Exploring the Brain of the Consumer. Springer-Verlag