Die Facebook-Startseite voller supergeiler Videos, die Stadt überflutet von gelben Plakaten, die zum Umparken im Kopf auffordern und die beste Freundin fragt: „Hast du schon den Spot First Kiss gesehen? Nein? Ich schick dir mal den Link!“. Drei besondere Werbeauftritte haben es geschafft, in kürzester Zeit zum Gesprächsthema zu werden. Wie ein Virus verbreiten sie sich im Internet und heimsen dabei Tausende von Likes ein.
Werbung setzt auf Mundpropaganda im Netz
Fachleute sprechen hierbei von viralem Marketing. Das Prinzip ist nicht neu, scheint aber zu funktionieren. Früher wurden witzige Videoclips per E-Mail an Freunde versendet. Da diese sich rasend schnell verbreiteten, passte die Werbebranche diese Art der Informationsverbreitung für ihre Zwecke an. Meistens handelt es sich heute dabei um lustige oder ungewöhnliche Spots, die sich von der Werbeflut abgrenzen. Diese werden so platziert, dass sie zum Selbstläufer werden. Anders als herkömmliche Werbung im Fernsehen, werden sie von den Konsumenten aus eigenem Antrieb angeschaut- und im besten Fall weiterempfohlen. Der Verbraucher fungiert nicht nur als Werbeempfänger, sondern auch als Sender.
85% unserer Kaufentscheidungen werden von Freunden und Bekannten beeinflusst.
Hierbei wird bewusst auf unser natürliches Bedürfnis nach Kommunikation abgezielt. Eine Befragung der W&V Online hat ergeben, dass 85% unserer Kaufentscheidung vor allem von Freunden und Bekannten beeinflusst wird. Wir stufen Empfehlungen nicht als Werbung ein und sind somit für die Inhalte empfänglicher.
Virales Marketing – ein Internetphänomen?
Genau das ist dem Lebensmittelhändler Edeka mit seinem Spot „Supergeil“ gelungen. Der Clip mit dem Künstler Friedrich Lichtenstein hat sich binnen weniger Tage wie ein Lauffeuer im Netz verbreitet. Getreu dem Motto „Supermarkt, Super Marke, Supergeil“ promotet die Supermarktkette darin ihre Eigenmarken- und das mit Erfolg. Insgesamt wurde der Clip auf YouTube über 8 Millionen Mal angeschaut. Das ist jedoch nichts im Vergleich zu dem Video „First Kiss“, in dem das Modelabel Wren aus L.A. beworben wird. Der Kurzfilm, der mehrere sich fremde Personen bei ihrem ersten Kuss zeigt, knackte vor kurzem sogar die 70 Millionen Grenze.
„Supergeil“ verzeichnet über 8 Millionen Likes, „First Kiss“ sogar über 70 Millionen.
Da stellt sich natürlich die Frage: Wie verbreitet sich ein Spot in so einer Windeseile? Marketing Experten erklären das Phänomen so: „ Der Erste postet das Video im Social Web und schreibt: “Schaut euch das mal an!“. Daraufhin wird es von anderen geliked, geteilt oder auf anderen Plattformen gepostet, bis irgendwann der erste Blogger darüber schreibt. Die Verbreitung erfolgt daraufhin exponentiell, denn virale Clips müssen schnell ein gewisses Maß an Zuschauern bekommen, damit sie ein erfolgreiches Video auf YouTube werden. Hilfreich dabei ist sicher, wenn es sich um ein originelles, spannendes oder witziges Video handelt, das die Konsumenten dazu bewegt, es mit ihren Freunden zu teilen. Auch sogenannte Seeding- Agenturen helfen bei der Verbreitung der Clips, indem sie sie gezielt auf themenrelevanten Blogs, Foren, Internetseiten oder Portalen (YouTube, Flickr,…) platzieren.
Maßgeblich für die Verbreitung solcher Videos ist jedoch das Internet. Laut dem Statistik-Portal Statista haben 76,5% der Deutschen einen Internetanschluss, rund 40 Millionen von ihnen sind bei einem oder mehreren sozialen Netzwerken registriert, wobei Facebook mit 27 Millionen aktiven Nutzern Spitzenreiter ist. Soziale Netzwerke bilden somit den optimalen Nährboden für virale Marketingmaßnahmen, da das Weiterleiten solcher Nachrichten schneller und einfacher funktioniert, ja sogar Bestandteil des Austauschs innerhalb der Netzwerke ist.
Soziale Netzwerke bilden den optimalen Nährboden für virale Marketingmaßnahmen.
Durch Funktionen wie zum Beispiel der „Gefällt mir“ Button auf Facebook wird Werbung automatisch an eine Vielzahl von Menschen weitergeleitet und erscheint auf der Startseite. Vor allem aber durch die steigende Anzahl von Smartphones und Tablets vergrößert sich die Reichweite und Verbreitung solcher Clips enorm. Im Gegensatz zu normaler Fernsehwerbung kann Werbung im Internet von den Konsumenten auch wiederholt angeschaut werden.
Virales Marketing geht auch auf Plakaten
Dass virales Marketing aber nicht nur im Internet funktioniert, haben Marlboro und Opel längst bewiesen. Im Jahr 2012 machte Marlboro mit der Kampagne „Don’t be a Maybe“ auf sich aufmerksam. Die Plakate enthielten zunächst keinen Markennamen und so wurde on- und offline gerätselt, wer hinter dieser Kampagne steckt. Sie war sogar so erfolgreich, dass sie vom Landratsamt München verboten wurde, da man befürchtete, sie könne Jugendliche zum Rauchen verführen. Aktuell macht Opel mit der Kampagne „Umparken im Kopf“ von sich reden. Rothaarige Frauen sind feuriger, Hummeln könnten physikalisch gesehen nicht fliegen und Schwule können kein Fußball spielen. Mit all diesen Vorurteilen und deren Widerlegung möchte Opel eine Wende im Kopf potenzieller Kunden erzeugen und somit sein angekratztes Image wieder aufpolieren. Wie auch bei Marlboro war am Anfang nicht ersichtlich, dass der Konzern Opel hinter dieser Kampagne steckt.
Erfolgsrezept: Stilbruch
Eines haben all diese viralen Werbeformen gemeinsam: Die Marke und die Produkte sind zwar notwendiger Bestandteil, im Fokus steht aber etwas anderes. Am Beispiel Edeka fällt auf, dass das Logo und der Claim „Wir lieben Lebensmittel“ lediglich im Hintergrund der Szenen oder auf den Schürzen der Verkäuferinnen zu sehen ist und nicht einmal im Song auftaucht. Auch die beworbenen Eigenmarken werden teilweise nur dezent im Video präsentiert. Im Falle des amerikanischen Labels Wren läuft auch die Kritik, dass der Film der Marke Wren nicht helfe, schlicht ins Leere laufe- doch der Erfolg spricht für sich. Allein die Aufmerksamkeit in den Medien bietet dem Label eine weltweite Bühne, denn alle küssenden Teilnehmer tragen die Kollektion des Labels. Der Film ist ein Schritt weg von den traditionellen Werbespots, er soll eine Geschichte erzählen. Die Zuschauer nehmen die Videos somit nicht als klassische Werbung wahr, es liegt ein Stilbruch vor. Werbung wird in seiner Machart komplett auf den Kopf gestellt und ist gerade deshalb interessanter als die Spots im Fernsehen, die sich von der Machart nicht viel verändert haben.
Effektive Werbung muss nicht teuer sein
Ein klarer Vorteil für Unternehmen besteht darin, dass der Erfolg gemessen am geringen finanziellen Aufwand überproportional groß ist. Auch wenn es sich bei der Edeka Produktion „Supergeil“ bestimmt nicht um ein Low-Budget-Projekt handelt, so sichert sich der Lebensmittelhändler damit einen Aufmerksamkeits- und Verbreitungsgrad, den man mit klassischer Fernsehwerbung wohl nie erreichen wird. Da die Konsumenten selber für die Verbreitung sorgen, brauchen Unternehmen somit kein Geld für teure Werbeträger ausgeben. Im Vergleich zahlt man beim ZDF für einen Werbespot zur Hauptsendezeit bis zu 700€ pro Sekunde, wohingegen man bei YouTube kostenlos Videos hochladen kann.
Aber warum schalten Unternehmen, dann nicht ausschließlich solche Anzeigen? Eines der Hauptprobleme liegt darin, dass virale Kampagnen schwer kontrollierbar sind. Missglückt solch eine Marketingmaßnahme, kann das weitreichende Folgen haben, da gerade der hohe Verbreitungsgrad dafür sorgt, dass nie alle Spuren entfernt werden können. Auch muss anfangs erst einmal eine kritische Masse erreicht werden, bevor die Werbebotschaft zum Selbstläufer wird. Die Gefahr besteht also dahingehend, dass es schlichtweg niemanden interessieren könnte. Viele Unternehmen haben zudem Angst, dass ihrer Marke viel Schaden durch virale Kritik zugefügt werden kann. Bestes Beispiel dafür ist Dove, deren Spot „Evolution“ von Greenpeace aufgegriffen wurde, um darauf aufmerksam zumachen, dass Dove der größte Abnehmer von Palmöl ist, dessen Anbau zur Abholzung des Regenwaldes beiträgt. Der Imageschaden war enorm. Ein weiteres Problem neben der mangelnden Messbarkeit ihres Erfolges, ist die Zielgruppenspezifität viraler Marketingkampagnen. Viele Personen können mit diesem Kommunikationsmittel nicht oder nur schwer erreicht werden- sei es, dass sie kein Internet besitzen, es nur sehr selten verwenden oder nicht in sozialen Netzwerken aktiv sind.
Virales Marketing – die Werbung von Morgen?
Auch wenn das Budget für solche Kampagnen steigt und Online-Werbung bereits die klassische Werbung in Printmedien immer mehr verdrängt, sind sich Experten einig, dass virales Marketing immer nur eine Facette einer Marke sein kann. Es dient meist dazu den Bekanntheitsgrad einer Marke zu steigern und sollte in Kombination mit anderen Werbemaßnahmen geschaltet werden.
Virales Marketing kann nur eine Facette einer Marke sein.
Spezielle Landingpages sollten zusätzlich kreiert werden, um eine dauerhafte Kontaktbindung zum Konsumenten herzustellen. Im Falle Edeka steht wohl keine weitere Zusammenarbeit mit Lichtenstein an und auch Opel schaltet nun nach der intensiven Plakatwerbung wieder einen passenden TV-Spot. Und wir als Konsumenten sollten die Hypes um solche viralen Videos vielleicht öfters mal hinterfragen, bevor wir stumpf auf den „Gefällt mir“-Button klicken.