Wir befinden uns mittendrin: Im Superwahljahr 2019. Europawahl, Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sowie unzählige Kommunalwahlen. Die Zeiten, in denen sich Unternehmen politisch neutral zeigen, scheinen längst vorbei zu sein. Nur, wie politisch darf Werbung überhaupt sein?
Politische Werbung vs. Wahlwerbung der Parteien
Wird von politischer Werbung gesprochen, ist meist die Wahlwerbung von Parteien gemeint. Diese ist im Vorfeld jeder Wahl ein kontrovers diskutiertes Thema in den Medien, aber auch bei den Wählerinnen und Wählern. In diesem Jahr erregte ein Video der Partei „Die PARTEI“ in Kooperation mit der Nichtregierungsorganisation „Sea Watch“ großes Aufsehen. Darin wird Seenotrettung in eindrucksvoller und dramatischer Weise thematisiert: ein junger Flüchtling kämpft im Mittelmeer ums Überleben. Ohne Rettungsweste strampelt er im tiefen Wasser und hechelt nach Luft. Nach circa 40 Sekunden verliert der Junge den Kampf und ertrinkt. Mit dem Appell, das Sterben endlich zu beenden, schließt der Spot. Das ZDF lehnte zuerst die Ausstrahlung ab. Erst nach Anpassungen innerhalb des Spots erfolgte dennoch die Ausstrahlung. Wahlwerbung von Parteien – kein leichtes Thema. Aber wie weit darf Werbung von Unternehmen mit politischer Botschaft gehen?
#BahnfuerEuropa
Am 20. Mai, knapp eine Woche vor der Europawahl, veröffentlicht die Deutsche Bahn unter #BahnfuerEuropa einen 71-sekündigen Videoclip mit dem Titel „Deutsche Bahn – Das Europa-ABC“. In diesem dekliniert ein Kinderchor alle Buchstaben des Alphabets – von A wie „alle“ bis Z wie „zusammen“ – durch. Kleine Veränderungen der Rechtschreibung, wie beispielsweise C wie „zurück“ oder Q wie „Kroatien“, müsse man mit einem Schmunzeln betrachten. Neben all dem Humor und Witz sei das Video aber auch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit zu sehen, wie der Konzern mitteilte. Die Gesellschaft stehe vor großen Herausforderungen, die es vor allem im Hinblick auf zukünftige Generationen anzupacken gilt. Der Bahn ginge es darum, dass die Menschen wählen gehen, und zwar für eine gemeinsame Zukunft.
Die Botschaft dahinter
Doch welche Intention steht hinter dem Werbespot? Die Leiterin für Marketing & PR der DB AG hält hierfür eine Erklärung bereit: „Wir haben Mitarbeiter aus und in ganz Europa. Wir arbeiten zusammen, auch über Grenzen hinweg. Wir stehen zu Europa“. Die Bahn steht als europäisches Unternehmen für europäische Werte ein. Außerdem werde Toleranz und weltweite Vernetzung gelebt.
Mit diesem Spot positioniert sich die Bahn klar für Europa und zeigt, dass sie relevanten Themen aus Gesellschaft und Politik Raum gibt. Der Text des Liedes drückt diese proeuropäische Ausrichtung besonders aus. Außerdem zeugt er von Willensstärke und der nötigen Motivation, die Dinge anzupacken. Die Umsetzung des Spots, d.h. der Einsatz von Kindern als Akteure und die Verwendung eines Songs anstatt gesprochener Worte, zielt auf die emotionale Beeinflussung der RezipientInnen und WählerInnen ab, indem beispielsweise das Kindchenschema aktiviert wird. Da es sich bei der DB um ein bundeseigenes Unternehmen handelt, darf dieses zwar Öffentlichkeitsarbeit betreiben, der Einsatz staatlicher Mittel für Wahlwerbung ist jedoch untersagt. Kritiker könnten argumentieren, dass die Bahn politische Meinungsbildung betreibt, obwohl sie keine politische Legitimierung besitzt, wie dies z.B. gewählte Vertreter oder Parteien hätten.
Ein Spot mit klarer Aussage – politische Meinungsbildung oder ein Statement aus Eigenmotivation?
Am Schluss steht es jedem Unternehmen frei, sich in einem bestimmten Rahmen politisch zu äußern.
Du bist interessiert, wie MTPler vor zwei Jahren über politische Werbung dachten?
Dann schau doch mal bei diesem Magazin-Artikel vorbei:
MTPanel: Ausgabe #3 – Im Kampf um die digitale Aufmerksamkeit.
Autorin:
Joy Schmiedl
GS Chemnitz