Viele kennen die berühmte Binsenweisheit des negativen Marketing: Auch negative Nachrichten sind gute Werbung. Je weiter sich die Nachricht verbreitet, desto besser.
In manchen Fällen könnte negative Werbung hilfreich sein. In anderen wiederum nicht. Ich werde diese Binsenweisheit folgend an Beispielen sowie psychologischen Studien analysieren. Mit Reflexionen werde ich dann weiterführende Regeln ableiten. Diese Regeln zum negativen Marketing können dann gezielt genutzt werden, statt unnötigen Schaden anzurichten.
Das Phänomen der negativen Werbung kann schon in Märchen beobachtet werden. Ein Protagonist oder eine Protagonistin könnte für etwas beschuldigt werden. Der Held oder die Heldin steht nun wegen Anschuldigungen vor der Gesellschaft als negativ, arm, hässlich oder inkompetent dar. In anderen Fällen könnte wer sogar als böse und als Feind verleumdet werden. Eine passende Geschichte dazu ist die Schöne und das Biest oder Aschenputtel.
Wie handeln der Held und die Heldin in solchen Situationen? Sie überwinden die Vorwürfe und Stigmata auf ihrem Pfad zu einem Happy End. Was aber, wenn sich dann doch herausstellt, der scheinheilige Held oder die falsche Heldin ist der eigentliche Bösewicht? Die meisten Bösewichte erhalten kein Happy End. Ähnliche Zusammenhänge können auch beim negativen Marketing beobachtet werden. In beiden Fällen ist wichtig, das Narrativ mit zu gestalten und zu verändern.
Wenn Grundwerte der Gesellschaft oder der Zielgruppe auf das Äußerste gebrochen werden, steigt die Gefahr, dass negatives Marketing schlechte Konsequenzen hat. Dazu gehören auch einige Skandale von Unternehmen oder Politikern. Um hier weder Politiker noch Unternehmen in diesem Text zu verurteilen, werde ich an dieser Stelle Beispiele außen vor lassen. Was aber in solchen Fällen, in denen das Negative nicht wirklich negativ ist?
Rebellion und Kontroversen können als negativ empfunden werden. Eine andere Zielgruppe könnte jedoch genau an diesen Kontroversen Gefallen finden. Ein sehr typisches Beispiel hierfür sind Musiker der 60er bis 80er, die durch Rebellion besonders aufgefallen sind. Die Gesellschaft war auf einem Umschwung. Hippies gründeten sich in den 50ern bis 60ern, die Punk-Bewegung wuchs in den 70ern. Das rigide, steife Klassensystem, eine Wirtschaftskrise und schlechte berufliche Aussichten drangen nach einem Umschwung.1
Die Mitglieder der Sex Pistols und der Spice Girls wurden vom Manager Malcom McLaren gezielt bezüglich der Werte von Rebellion zusammengestellt. Zu den eher harmlosen Vorfällen gehörte, dass Moderatoren in Fernsehsendungen von ihnen beleidigt worden sind. Öffentliche Skandale führten sogar dazu, dass Plattenfirmen den Musikern einen Wert von einer halben Million Euro auszahlten, damit sie aus dem Plattenvertrag ausstiegen.1
Trotz oder sogar gerade wegen ihres verstärkten, negativen Auftretens wurden die Sex Pistols berühmt. Sie wurden von ihrer Zielgruppe akzeptiert und bejubelt. Sie waren im Einklang der Werte ihrer Zielgruppe. Sie waren sozusagen die (Anti-)Helden der Geschichte gegen ein rigides Klassensystem. Für die Zielgruppe war die Rebellion gegen das alte, rigide System im Vordergrund. Wichtiger ist, dass die Handlungen der Protagonisten in einem gewissen „frame“ (Interpretations-Rahmen) gedeutet worden sind – hier die Rebellion gegen ein rigides Klassensystem.
Ein frame ist ein Rahmen, in dem gewisse Züge einer Interpretation betont werden. Eine einfache Form eines frames ist, Gewinne oder Verluste gezielt aufzuzeigen. Eine klassische psychologische Studie dazu ist von Tversky und Kahneman (1981). Probanden wurden unterschiedliche Szenarien vorgestellt, bei denen sie sich risikovermeidend oder risikofreudig entscheiden konnten. Bei Gewinn-Situationen entschieden sie sich eher risikofreudig. Bei der Situation umgedeutet (framed) als Verlustsituation, entschieden sich die Probanden dagegen eher risikoavers. Folgend werde ich eine der originalen Situationsbeschreibungen aus der Studie ins Deutsche übersetzen.
Das Beispiel einer asiatischen Krankheit
(asian disease problem):
Stellen Sie sich vor, dass die USA sich auf eine ungewöhnliche asiatische Krankheit vorbereitet, welches voraussichtlich 600 Personen umbringen würde. Zwei alternative Programme wurden vorgeschlagen, um gegen die Krankheit vorzugehen. Nehmen Sie an, dass die exakten Einschätzungen der Konsequenzen des Programms wie folgt seien:
Entscheidungspaar 1:
- Wenn das Programm A ausgeführt wird, werden 200 Personen gerettet. [72 Prozent entschieden sich hierfür]
- Wenn das Programm B ausgeführt wird, werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 600 Personen gerettet und mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 wird niemand gerettet. [28 Prozent entschieden sich hierfür]
Entscheidungspaar 2:
- Wenn Programm C ausgeführt wird, werden 400 Personen sterben. [22 Prozent entschieden sich hierfür]
- Wenn Programm D ausgeführt wird, werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 niemand sterben, und mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 werden 600 Personen sterben. [78 Prozent entschieden sich hierfür]
Nur indem die Situationen in Experimenten bei Tversky und Kahneman (1981) anders beschrieben worden sind, hatte dies zu einem starken Wechsel der Entscheidung der Probanden geführt. Die statistische Sachlage an sich blieb jedoch identisch. Ein frame kann demnach die Entscheidung einer Gruppe verändern.
Wie passt die Studie von Tversky und Kahneman (1981) in das negative Marketing? Ein praktisches Beispiel kann beim gegenwärtigen Präsidenten der USA, Donald Trump, beobachtet werden. (Eine Analyse der Kommunikation von Trump dient hier einzig alleine als Anwendungsbeispiel in der Praxis – nicht als Zustimmung oder Abwertung von Trump an sich).
Während der Kampagne zur Präsidentschaftswahl gab es einige Einwände, dass Trump möglicherweise eine Politik für Reiche durchführen würde, weil er selbst sehr vermögend ist. Bald kursierten Nachrichten und Meinungen, angeregt durch seine öffentlichen Reden, dass eben weil Trump selbst finanziell höchst unabhängig ist, er deshalb weniger von Korruption durch Lobbys und Unternehmen betroffen sei.2
Die Propaganda um Trump herum hat ihn also als Innovation und Gewinn einbringend gegen ein altes korruptes System dargestellt. Dies führe nach den Erkenntnissen von der Studie von Tversky und Kahneman (1981) dazu, dass Personen eher dazu geneigt sind, Risiken in Kauf zu nehmen. Der frame wurde vom verlustbringenden Präsidenten zum gewinnbringenden gewandelt. Trump ist für viele mit Risiken assoziiert. Wenn Trump also mit Gewinn und Profit durch einen Umsturz eines alten, korrupten System assoziiert wird, könnten folgend mehr Risiken toleriert werden, die für die Wähler mit Trump als Präsident in Verbindung stehen könnten. Bei der Berücksichtigung der Wahlentscheidung könnten seine persönlichen, medialen Skandale dann in den Hintergrund rücken.
Die negative Nachricht über Trump wurde durch den richtigen frame nun ins Positive gewandelt. Einige Medien haben Trump belächelt und negative Nachrichten gegen ihn weit verbreitet. Durch das Verändern des frames führte die negative mediale Aufmerksamkeit nun nicht zu einem Schaden bezüglich der Präsidentschaftswahlen, sondern zum Zugewinn für Trump.
Eine weitere Studie ist die von Takemura (1994), die den entdeckten frame-Effekt in der Studie von Tversky und Kahneman (1981) genauer untersucht: Wenn Informationen tiefergehend elaboriert werden – also durchdacht werden – , dann verschwindet oder reduziert sich dieser frame-Effekt. Inwiefern Risiken eingegangen werden, hängt dann weniger von einer Gewinn- oder Verlustdeutung ab.
Bei Takemura (1994) wurden die Aufgaben von Tversky und Kahneman (1981) neuen Probanden gegeben. In einer weiteren Bedingung (Elaborationsbedingung) sollten die Probanden ihre Entscheidungen rechtfertigen: Wieso entschieden sie sich in den jeweiligen Szenarien wie sie dies taten?
Bei Takemura (1994) gab es dann keine prozentual signifikanten Unterschiede der Risikotendenzen in ihrer Entscheidung beim frame einer Gewinn- oder Verlustsituation. Ob die Situation als gewinn- oder verlustbringend interpretiert wurde, spielte dann also für eigene Entscheidungstendenzen Risiken einzugehen eine geringere Rolle.
Nummerisch zeigte sich bei Takemura (1994) jedoch der gleiche Trend wie bei Tversky und Kahneman (1981): Ein Gewinn-frame führte dazu mehr Risiken einzugehen. Ein Verlust-frame dagegen Risiken zu vermeiden. In der Statistik gilt, je mehr Probanden getestet werden, desto eher werden auch kleinere Effekte und Trends bedeutsam. Natürlich könnte dann argumentiert werden, wenn genügend Probanden getestet werden würden, dass dieser frame-Effekt weiterhin bedeutsam werden würde. Wichtig ist hier jedoch, dass das eigene Durchdenken der Situation und die Rechtfertigungen für die eigene Entscheidung, den Einfluss des frame-Effekts auf Gruppenebene senkt: Wenn sich also jemand Gedanken über die eigenen Entscheidungen macht, verringert sich der Einfluss vom frame. Ob ich risikoreicher oder risikovermeidend reagiere, hängt nun weniger von der Beschreibung einer Situation als gewinn- oder verlustbringend ab.
Wie können diese Befunde zusammenfassend für das Marketing gezielt genutzt werden? Will jemand eher risikoaverses Verhalten bei Konsumenten oder Klienten fördern wie bei dem alten Produkt zu bleiben, um die Werte von Sicherheit eines konservativeren Unternehmens zu betonen, könnten mögliche Verluste bei der Umentscheidung zum Konkurrenten betont werden oder Verluste durch das nicht Eingehen eines Vertrages. Wenn dagegen risikofreudiges Verhalten bei einer Innovation animiert werden solle, könnten die Gewinne durch ein Unternehmen in den Vordergrund gestellt werden. Diese Erkenntnisse können dann ebenfalls in das Copywriting übertragen werden, um Konsumenten oder Klienten über gezielte Werbung anzusprechen.
Rein rational und praktisch können auch Elaborationen für das Marketing genutzt werden. Wenn ein Kontrahent solch einen frame-Effekt gegen einen nutzt – wie einen als Risiko und Verlust darzustellen -, könnten Elaborationen Publik gemacht werden und tiefere Reflexionen der Klienten oder Konsumenten angeregt werden. Im Falle der Kampagne von Trump wurden Elaborationen genutzt, um ein korruptes System zu beschreiben sowie die eigene finanzielle Unabhängigkeit als Schutz vor Korruption zu betonen. Eine tiefergehende Elaboration könnte dagegen sein, dass Korruption nicht primär von finanzieller Unabhängigkeit abhängt, sondern von eigener Strebsamkeit nach gewissen Prinzipien und Werten. In dem Spiel um mediale Aufmerksamkeit ist damit eine zusätzliche Argumentationsebene wichtig: Die Tiefe und Sinnhaftigkeit der Argumente, statt nur Beschuldigungen und Behauptungen zu liefern.
Eine weitergehende Frage ist, was der Inhalt solcher Elaborationen sein könnte. Eine Möglichkeit ist objektivere Kriterien zu erörtern, an denen sich eine Entscheidung richten kann. Somit würde der Einfluss des frame-Effekts auf eine Entscheidung zu Gunsten objektiverer Kriterien verschoben werden.
Ein frame muss sich jedoch nicht nur auf Gewinn und Verluste beziehen, sondern kann auch moralische Prinzipien näher betrachten. Adam Grant beschreibt in seinem Buch „The Originals“ mit unterschiedlichen Datenquellen und Statistiken, wie sehr innovative Personen sich höheren Risiken aussetzen, weil sie ihren Prinzipien folgen.3 Die Hoffnung zu Erfolg oder Misserfolg hat dann eine geringere Bedeutung als den eigenen Prinzipien zu folgen. Dies entspricht auch weitergehend betrachtet den Befunden von Takemura (1994), dass höhere Elaboration dazu führt, dass der frame-Effekt gesenkt wird. Hier würde die Elaboration aus Prinzipien bestehen, die einen entweder zu risikoreichen Entscheidungen oder zu solchen für mehr Sicherheit leiten.
Die eigenen Prinzipien von Einzelpersonen oder auch Unternehmenswerte können im Marketing dargestellt werden. Somit kann sogar das „Negative“ als das eigentlich „Positive“ erkannt werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass Handlungen, die im kompletten Gegensatz zu den Werten einer Gesellschaft, Zielgruppe oder selbst (objektiv) offen gelegten Werten sind, dann auch wirklich negative Werbung sind – mit möglichen starken Reputationsschäden und Profitverlusten. Negatives ist also nicht immer negativ. Manchmal aber schon.
Autor:
Kubilay Bora Övün
Quellen:
Verweise:
1Bandelow, B. (2006). Celebrities: vom schwierigen Glück, berühmt zu sein. Rowohlt.
2https://www.cnbc.com/2016/12/21/trumps-administration-is-filling-up-with-wealth-and-power-after-populist-campaign.html – 22.06.2019, 00:32, Deutschland
3Grant, A. (2017). Originals: How non-conformists move the world. Penguin.
Studien:
Takemura, K. (1994). Influence of elaboration on the framing of decision. The Journal of Psychology, 128, 33-39.
Tversky, A., & Kahneman, D. (1981). The framing of decisions and the psychology of choice. Science, 211, 453-458.
Bildquellen:
http://www.thebluediamondgallery.com/wooden-tile/m/marketing.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Donald_Trump#/media/Datei:Donald_Trump_official_portrait.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Sex_Pistols#/media/Datei:Sex_Pistols_in_Paradiso.jpg
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[…] nicht nur zu wissen, wieso manches negatives nicht immer negativ ist, manchmal aber schon (siehe einen vorherigen Artikel im Magazin). Weiterhin ist wichtig, dass die jeweilige Zielgruppe positiv von einem beeinflusst werden kann […]