Ein Interview mit Förderprofessor Prof. Dr. Frank Hälsig
MTP: Sie waren Director bei Simon-Kucher & Partners, sind nun sieben Jahre Professor und beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema Pricing Excellence. Warum ist gerade das Pricing bei immateriellen Gütern eine solche Herausforderung?
Hälsig: Bei vielen Dienstleistungen hat man am Ende nichts Materielles in der Hand hat – wie bei einem Paar Schuhe. Grundsätzlich gilt: Bei Dienstleistungen ist das wahrgenommene Risiko bei Ihren Kunden immer höher als bei physischen Produkten wie bei einem Fahrrad. Das können Sie Probe fahren und so oft vor dem Kauf schon gut beurteilen. Man muss sich als Dienstleister, beispielsweise als Berater, Friseur oder auch als Anbieter einer spezifischen Software Gedanken machen, wie man das wahrgenommene Risiko senken kann.
MTP: Und wie senkt man das wahrgenommene Risiko?
Hälsig: Das kann man über eine professionelle Markenprofilbildung schaffen oder über exzellente Referenzen, beispielsweise „x% der Unternehmen Ihrer Branchen nutzen unsere Softwarelösung und sind sehr zufrieden“. Das kann aber auch über Schnupperangebote funktionieren. Auf der anderen Seite kann das wahrgenommene Risiko auch zu einem Vorteil werden. Denn: Ist ein Kunde einmal überzeugt, wechselt er bei Dienstleistungen seltener als bei physischen Produkten: „Den Friseur kenne ich. Der ist gut. Den wechsele ich nicht mehr.“
MTP: Nochmal etwas konkreter: Wie findet man heraus, was das eigene Produkt wert ist?
Hälsig: Grundsätzlich gibt es drei Anker:
(1.) die eigenen Kosten,
(2.) die Preise der Wettbewerber bzw. des „Marktes“ und
(3.) die Preisakzeptanz bzw. Zahlungsbereitschaft der Kunden.
Man muss also zunächst seine eigenen Kosten anschauen. Sicherlich wird in der Automobilzulieferindustrie extrem auf die Kosten geschaut. Anderseits gibt es Branchen, in denen die Orientierung am Wettbewerb fast dominiert. Wir haben vor Jahren für unsere Handyverträge 70 – 80 Euro bezahlt. Aber dann hat eine Vielzahl an Anbietern angefangen, die Preise zu senken. Und jetzt würden wahrscheinlich die wenigsten von uns noch so viel dafür zahlen. Man muss auch diese beiden Anker betrachten, aber am Ende kann es eigentlich immer nur um die Preisakzeptanz bzw. die Zahlungsbereitschaft der Kunden gehen.
MTP: Was sind hierbei die entscheidenden Bausteine?
Hälsig: Erst muss ich verstehen, welchen Nutzen ich bei meinen Kunden erzeuge. Hier kommt die Marktforschung ins Spiel. Beim Thema Nutzen kann man sich zum Beispiel am guten alten Maslow und seiner Bedürfnispyramide orientieren. Dann muss man seinen Nutzen greifbar machen, idealerweise etwa wie: „Unsere Software kann Ihnen helfen, Ihre Fehlerquote um x% zu senken und gleichzeitig Ihre Prozesse um y% schneller zu machen. Das bedeutet für Sie umgerechnet eine Ersparnis von xxx.000 Euro im Jahr. Deswegen macht es Sinn, dass wir die Software in Ihrem Unternehmen für eine Investition von x.000 Euro hier jetzt starten.“
MTP: Wenn ich den Kundennutzen bzw. den Wert der Leistung analysiert habe, was ist der nächste Schritt?
Hälsig: Die Unternehmen müssen Ihren Kunden die richtigen Optionen bieten. Schlagworte sind hier: Bundling, Portfolioansätze, Framing, Anchoring etc. Hier spielen Ansätze der Behavioral Economics eine Rolle – die allerdings teilweise aus der Marketingforschung abgeleitet wurden. Vor allem in der digitalen Welt werden häufig Freemium-Modelle gewählt. Dies bedeutet, dass Kunden Dienstleistungen eines Unternehmens grundsätzlich kostenlos nutzen können (FREEmium), aber zusätzliche kostenpflichtige Leistungen erwerben können (freeMIUM). Dieses bewährt sich besonders gut in Branchen mit emotionalen Kunden und hoher Verstrickung, wie es beim Online-Gaming der Fall ist. Der Nutzer kann beliebig oft weitere Credits und damit Leistungen erwerben. Echte Fans, Intensiv-Nutzer und Anbieter kommen gleichermaßen auf „ihre Kosten“. Studien belegen, dass Gamer nicht selten 50 Euro oder mehr im Monat ausgeben. Das Suchtpotenzial ist hier nicht zu unterschätzen. Natürlich müssen die Anreize stimmen. Es ist entscheidend die richtigen Produktfeatures oder Ereignisse zu schaffen, für die Kunden bezahlen würden (sog. Payment-Trigger).
Beispiele:
(1.) Karriere-Netzwerke: Die Neugier ansprechende Funktionen wie ‚Besucher meines Profils‘,
(2.) Singlebörsen: Die Möglichkeit in Kontakt mit anderen Mitgliedern zu treten oder zu sehen, wer das eigene Profil attraktiv findet oder
(3.) Speicherdienste/Clouds: Mehr Komfort, z.B. mehr Speicherplatz.
Für den Erfolg dieses Preismodells ist eine große Grundgesamtheit an Kunden zwingend. Der Online-Speicherdienst Dropbox hat dies geschafft. Wer nutzt heute nicht ‚seine Dropbox‘? Die kostenlose Basisleistung ist sehr attraktiv, so dass sicherlich nur ein geringer Anteil der Kunden zusätzliche kostenpflichtige Leistungen hinzubucht – aber absolut sind dies trotzdem eine Menge. Der Schlüssel der Freemium-Strategie liegt in der Balance zwischen attraktiven, freien Leistungen und dem Zurückhalten von ‚Perlen‘.
MTP: Und dann muss ich mir um die Preiseinheiten Gedanken machen, oder?
Hälsig: Genau – mit der sogenannten Preismetrik. Zunächst mal: Man sollte immer in der Logik der Kunden denken. Wenn diese in monatlichen Mitgliedsbeiträgen denken, wird es schwierig eine gänzlich andere Preismetrik durchzusetzen. Aber man kann sich eventuell vom Wettbewerber genau darüber differenzieren. Flatrates in der Musikindustrie, das minutengenaue Leihen von Autos oder die Wochenpreise bei Fitnesscentern. Hier kommt der Pennies-a-day-Effekt: Kunden unterschätzen die Summe von ‚kleinen‘ Zahlungen eines Wochenpreises gegenüber einem Monatspreis. Dies ist ein äußerst vielschichtiges Thema und man kann hier keine generellen Empfehlungen aussprechen.
MTP: Was genau ist und wie funktioniert dann Dynamic Pricing?
Hälsig: Hier geht es dann um die konkrete – teilweise kundenindividuelle – Preishöhe. Dynamic Pricing, dynamische Preisdifferenzierung oder dynamisches Preismanagement, ist ein Ansatz, bei dem Unternehmen die Preise für Produkte oder Dienstleistungen dynamisch auf Basis des aktuellen Marktbedarfs anpassen. Es handelt sich dabei um ein Modell, welches Preise anhand automatischer Algorithmen berechnet. Dabei werden Faktoren wie die Preisgestaltung der Konkurrenten, Angebot und Nachfrage und andere externe Faktoren miteinbezogen. Die Herausforderung ist es, dass man die richtigen Faktoren hat oder findet, um den Preis zu definieren. Die richtigen Faktoren sind wichtig. Jeder Handwerker differenziert seine Preise – allerdings vielleicht nicht so dynamisch und häufig wie Online-Händler wie Amazon.
MTP: Ist dies auch für Berater oder Agenturen interessant?
Hälsig: Auch Berater sollten ihre Preise natürlich kundenindividuell differenzieren und anpassen. Man muss die richtigen Preistreiber für sich definieren. Es gilt zum Beispiel: Manche Unternehmen, Berufsgruppen oder Regionen sind nun mal zahlungskräftiger als andere.
MTP: Ist das nicht unanständig, unterschiedliche Preise für die gleiche Leistung zu nehmen?
Hälsig: In vielen Bereichen nicht. Nehmen wir den Hotelbereich: Jeder ärgert sich zwar, dass man in der Hauptsaison etwa das Doppelte für ein Hotelzimmer bezahlen muss, aber bezahlt diesen Preis dennoch. Wenn man eine Woche nach den Osterferien in den Urlaub fährt, kostet es nur noch die Hälfte. Aber andererseits haben das eigentlich die meisten von uns so akzeptiert. Oder dass Kinder im Schwimmbad weniger Eintritt zahlen müssen. Das hat man verstanden und akzeptiert. Oder – wenn nicht mehr so viel Platz im Flugzeug ist, geht der Preis hoch. Wenn der Flieger sowieso leer ist, dann kann man Restplätze auch ganz billig anbieten. Das hat man gelernt – und das kann man auf sehr viele Branchen übertragen. Auch in die Beratungsindustrie. Natürlich hat das Feld oder die Industrie, in der ich arbeite oder arbeiten will, einen Einfluss auf die Preishöhe. Wo kommt der Kunde her? Haben diese schon mal mit Beratungsfirmen zusammengearbeitet? Mit welcher Art von Beratung? Wenn diese schon mal mit McKinsey zusammengearbeitet haben – fantastisch. Denn dann wissen die Kunden, was ordentliche Beratertagessätze sind.
Ein Preistreiber kann aber auch der Zeitdruck eines Kunden sein. Wenn jemand eine akute Herausforderung im Unternehmen hat, die er dringend gelöst haben möchte und er gar keine Zeit hat, Vergleichsangebote einzuholen, könnte man tendenziell preislich ein wenig höher einsteigen. Wie ein DJ, wenn er weiß, dass die Hochzeit in drei Wochen ist und der gebuchte DJ gerade abgesprungen ist.
MTP: Klingt ethisch grenzwertig…
Hälsig: Klar klingt das grenzwertig, nach dem Motto zu handeln: Je schlechter es dem Kunden geht, desto höher sind meine Preise. Sicherlich gibt es hier auch Grenzen bzw. ich bin froh, dass es diese in einigen Branchen gibt.
MTP: Vielen Dank für die vielfältigen Impulse. Sicherlich könnten wir noch länger weitermachen. Haben Sie noch einen Hinweis für die Studierenden am Ende?
Hälsig: Studierende sollten sich den spannenden Themen des Pricings annehmen und genau die Entwicklungen in unterschiedlichen Branchen beobachten. Es ist zu appellieren, dass das Marketing nicht das Thema Pricing oder Revenue Management anderen Unternehmensfunktionen – wie dem Controlling – überlässt. Wir – die Marketing-Profis – kennen den Kunden und damit auch die Preisakzeptanz. Marketing ist viel mehr als Kommunikation.