Original Unverpackt – „Nackte“ Lebensmittel im Supermarkt | MTP e.V.

Wir alle kennen die Bilder von Vögeln, die sich in den Plastikringen von Sixpacks verheddern und verenden. Jeder hat schon von den riesigen Mengen Plastikmüll in unseren Ozeanen gehört. Jährlich produziert jeder Deutsche fast eine halbe Tonne Müll. Kunststoff stellt eine leichte und vor allem günstige Verpackungsmöglichkeit dar. Unsere Einstellung zu Einwegverpackungen sollte sich von selbst verstehen. Doch engagieren sich Konsumenten, dem Gebrauch von Einwegverpackungen auch aktiv entgegenzuwirken?

Sara Wolf (31) und Milena Glimbovski (24) sind aktiv geworden. In Berlin haben sie eine prämierte Geschäftsidee in die Tat umgesetzt – ein Supermarkt, der ohne Einwegverpackungen auskommt. Original Unverpackt eröffnete am 13. September dieses Jahres mitten in Kreuzberg. Der Großteil der angebotenen Lebensmittel kommt von regionalen Händlern oder ist biologisch erzeugt. Zurzeit kann man bei Original Unverpackt aus circa 350 Produkten wählen, zu einem Preisniveau, das in etwa dem eines Bioladens entspricht. Das Sortiment reicht von Obstsorten, hausgemachter Marmelade, Nudeln, Öl, Käse und Wein bis hin zu Zahnpasta in Tablettenform – immer ohne Einwegverpackung. Jeder nimmt so viel, wie er braucht.

Festzuhalten ist, dass dieses Ladenkonzept nicht komplett neu ist. In Deutschland wurde das verpackungslose Einkaufen bereits in Kiel in den Markt eingeführt. Auch einige Bio-Läden nutzen die sogenannten „Bulk Bins“, aus denen sich der Kunde die gewünschte Menge loser Produkte zapfen kann.

Utopie oder Erfolgsidee?

Gutmenschen wollen viele sein, aber sind sie dann auch bereit die Kosten aufzuwenden, die dabei entstehen nachhaltiger zu leben? Scheitern nicht schon viele von uns daran, immer einen Jutebeutel zum Einkaufen dabei zu haben, um keine Plastik- oder Papiertüten kaufen zu müssen? Bleibt der Wochenendeinkauf ein tolles Erlebnis oder schleppen wir uns dann entnervt mit zahlreichen, gefüllten Gläsern die Treppen hoch? Die Lösung wäre, öfter und dafür weniger einzukaufen. Doch klagen nicht jetzt schon alle: „Wir haben doch keine Zeit!“. Gutes tun will an sich jeder, doch den Einsatz hierfür ist nicht jeder bereit zu zahlen. Und ob sich die breite Masse dazu bewegen lässt, diesen Einsatz zu leisten, ist in Frage zu stellen. Schafft es der Konsument jedes Mal, nach der Arbeit noch schnell nachhause, seine Gläser und Behälter zu holen, um einkaufen zu gehen? Dafür zumindest hat Original Unverpackt eine Lösung anzubieten. Der Kunde kann sich Mietbehälter leihen, falls er sich spontan dazu entscheidet, nach der Arbeit noch schnell in den Laden zu huschen. Ein positiver Nebeneffekt: Die häufige Streitfrage „Wer bringt den Müll runter?“ muss seltener ausdiskutiert werden.

Verpackungen – mehr als nur Portionierung und Transporthilfe

Was würde es eigentlich bedeuten, wenn wir keine Verpackungen mehr hätten? In dem Ladengeschäft Original Unverpackt sucht man meist vergeblich nach optischen Nutzenversprechen oder Serviervorschlägen. Will der Kunde denn nicht doch ein bisschen optisch umworben werden? Und somit Traumwelten auf den Verpackungen erleben und nicht nur das bloße Produkt erwerben. Vielleicht braucht der Kunde das lachende Kind auf der Verpackung, das suggeriert, man tue seinem Kind etwas Gutes, oder das blütenweiße Zahnpastalächeln, das einen jedes Mal verführerisch anlächelt. Kaufentscheidungen werden zu fast 70 Prozent erst am Point of Sale getroffen und die Verpackung spielt dabei eine bedeutende Rolle. Aber wer jetzt denkt, Original Unverpackt verzichtet auf die vom Konsumenten gewünschten Traumwelten, liegt falsch. Sie eröffnen dem Konsumenten eine Utopie, die er gerne leben würde. Er fühlt sich gut, einkaufen gewesen zu sein und der Nachhaltigkeit einen Dienst erwiesen zu haben. Das Einkaufen wird zu einem Erlebnis. Laut Original Unverpackt soll nachhaltiges Konsumieren „sexy“ werden.

Eine verpackungslose Revolution der Masse?  

Kann es das Ziel sein, die Supermärkte zu revolutionieren? Original Unverpackt setzt auf kurze Transportwege, Logistik, die schon beim Transport auf Einwegverpackungen verzichtet und Erzeuger, die bereit sind, sich diesen Grundsätzen zu verpflichten. Diese Voraussetzungen können normale Supermärkte, vor allem Ketten, nicht erfüllen. Außerdem besteht immer noch das Problem der Hygienevorschriften, die es bislang für Original Unverpackt nicht möglich macht, Produkte wie beispielsweise Fleisch anzubieten. Doch Wolf und Glimbovski haben sich große Ziele gesetzt, sie wollen eine „Massenbewegung“ starten und ihr Konzept als Franchise-System ausweiten.  

Allein die Idee des Ladenkonzepts hat viele Konsumenten schon lange vor der Eröffnung begeistert. In einem Crowdfunding-Prozess wurden die gewünschten 20.000 Euro mit 115.000 Euro weit überschritten. Dies hat gezeigt, dass das Finanzierungskonzept des Crowdfundings funktionieren kann und visionäre Ideen ohne genügend Realisierungskapital doch an den Start gehen können. Somit dürften sich Wolf und Glimbovski darin bestätigt fühlen, dass es dem Kundenwunsch einer doch erheblichen Masse entspricht, dieses Konzept weiter auszubauen.

Experten zweifeln jedoch an der Massentauglichkeit. Das Konzept adressiert eine durchgeplante Käuferschaft, die ihren Einkauf strukturiert angeht. Dem Umweltfaktor kommen Spontankäufer nämlich nicht zugute, da sie keine eigenen Behältnisse dabei haben und so jedes Mal neue im Supermarkt kaufen. Zusätzlich sehen die Experten den personellen Mehraufwand als unvorteilhaften Kostenfaktor. Die Mehrwegbehälter und Bulk Bins müssen vorschriftsgemäß gereinigt werden, sodass sie den Anforderungen der Lebensmittelbehörde entsprechen. Auch die Lagerung der Produkte ohne Verpackungen und die hierdurch entstehende händische Mehrarbeit ist nicht zu vernachlässigen.

Fazit: Für den Überzeugten, den Gelegenheits-Gutmenschen oder den Erlebnis-Einkäufer bietet Original Unverpackt die optimale Spielwiese und die Möglichkeit seinen Teil zur Nachhaltigkeit beizutragen. Bleibt abzuwarten, ob das Konzept großflächig ausgeweitet werden kann. Der Natur zuliebe sollte man darauf hoffen und tatkräftig mit anfassen.

Lebensmittel, Supermarkt, Unverpackt, Verpackungen, verpackungslos
Vorheriger Beitrag
Von Menschen und Marken – 18. Ausgabe des Mehrwert ist erschienen | MTP e.V.
Nächster Beitrag
Jobs im Marketing: Marketing Director | MTP e.V.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.